2024-07-22 17:15:56
Böses Erwachen für die Varta-Aktionäre am Montag: Der Aktienkurs sackt zur Börseneröffnung in Frankfurt 80 Prozent ins Minus. Nach gut 10 Euro am Freitag werden nur noch 2,10 Euro je Aktie gezahlt. In einem turbulenten Handel, in dem die Aktie zeitweise nicht mehr gehandelt werden konnte, pendelt der Kurs dann zwischen 2,10 Euro und 3,65 Euro, der Unternehmenswert mithin zwischen 100 und 175 Millionen Euro. Am Freitag waren es noch 440 Millionen Euro. Dazwischen lag der Beschluss des Unternehmens, sich im Rahmen des seit Anfang 2021 gültigen Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) neu aufzustellen.
Das Verfahren sieht unter anderem eine Kapitalerhöhung vor, im Rahmen derer sich ausschließlich der bisherige Großaktionär Michael Tojner aus Österreich und der an der Batterietechnologie interessierte Autohersteller Porsche beteiligen dürfen. Die übrigen bisherigen Aktionäre werden von dem Verfahren ausgeschlossen, ihre Kapitalanteile auf null gesetzt.
Der österreichische Unternehmer Michael Tojner, der über die schweizerische Holding Montana Tech Components die Mehrheit an Varta hält und gleichzeitig der Aufsichtsratsvorsitzende des Batterieherstellers ist, begrüßt die Entscheidung für ein Sanierungsverfahren nach dem StaRUG „als einzige Möglichkeit“, dem Unternehmen eine positive Perspektive zu geben. „Diese Entscheidung ist mir harten Einschnitten verbunden – auch ich verliere im Zuge der nun gestarteten Sanierung den gesamten Aktienwert“, sagt Tojner. Die Entscheidung sei keinem leichtgefallen. Das wichtigste Ziel sei es gewesen, die Schuldenlast von Varta zu reduzieren. Um den Konzern zu stabilisieren, reiche die Versorgung des Unternehmens mit zusätzlichem Kapital nicht aus. „Wir müssen diesen Schritt setzen, um Varta eine Zukunft zu geben, fast 4000 Arbeitsplätze zu sichern und das Unternehmen als Wirtschaftsfaktor in der Region und vor allem als Technologieträger für Europa zu erhalten“, erläutert Tojner.
Porsche will Technologie
Auch der Sportwagenhersteller Porsche hat großes Interesse daran, dass das Know-how von Varta am Standort Deutschland erhalten bleibt. Das gilt in erster Linie für die Batteriezelle V4Drive, die Varta entwickelt hat und die für Booster- und Hochleistungsanwendungen bestimmt ist. Porsche braucht sie für den Turbohybridantrieb im Porsche 911 GTS. Vor gut zwei Wochen hat das Unternehmen bestätigt, mit Varta über eine Mehrheitsbeteiligung an der V4Drive-Tochtergesellschaft zu verhandeln. „Das Ziel unseres Engagements wäre, diese Schlüsseltechnologie am Standort Deutschland zu erhalten“, sagte ein Sprecher als Reaktion auf Recherchen der F.A.Z. „Voraussetzung dafür ist eine gesunde finanzielle Basis der Varta AG. Unter bestimmten Umständen könnten wir uns daher vorstellen, uns auch an einer finanziellen Neuaufstellung der Varta AG insgesamt zu beteiligen.“ Die Gespräche, wie sich Porsche an der Rettung von Varta beteiligt, dauern nach Unternehmensangaben an.
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) schätzt die Situation grundsätzlich anders ein: „Mein dringender Appell an den Gesetzgeber ist es, das 2021 eingeführte StaRUG dringend und schnellstens noch in dieser Legislaturperiode zu reformieren“, sagt Daniela Bergdolt, Fachanwältin für Kapitalmarktrecht und Vizepräsidentin der DSW. „Es kann nicht sein, dass sich große Investoren und Mehrheitsaktionäre auf dem Rücken der Privatanleger sanieren und diese kalt enteignet werden. Wie wollen wir denn den Menschen zu mehr Altersvorsorge in Aktien raten, wenn sie dann von einem auf den anderen Tag enteignet werden können? Kein Varta-Aktionär wird jemals mehr Aktien anfassen.“
Kaum Chancen für Privatanleger
Juristische Mittel gegen das Verfahren sieht Bergdolt nicht: „Das ist seit Anfang 2021 ein rechtmäßiges Verfahren.“ Einzig wenn den Vorständen nachgewiesen werden könnte, den Kapitalmarkt zu spät informiert zu haben, seien Klagen mit Aussicht auf Schadenersatz denkbar. Schon die Erfahrungen beim Autozulieferer Leoni hätten gezeigt, dass in dem Verfahren Kleinaktionäre leer ausgingen. „Es ist sinnvoll, dass es eine Sanierung ohne Insolvenz geben kann für Unternehmen in Schieflage, aber es muss einen Schutz für die Eigentümer geben, zum Beispiel indem auch die Privatanleger einen Teil ihrer Aktien und ihr Stimmrecht behalten und sich im Zuge der Sanierung mit Kapital beteiligen können, wenn sie möchten“, sagt Bergdolt. „Im aktuellen Verfahren erfolgt aber voraussichtlich erst ein Kapitalschnitt auf Null und dann eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss von Bezugsrechten, die Privatanleger fliegen in diesem Fall einfach entschädigungslos raus, und der Großaktionär sucht sich aus, wen er künftig noch im Unternehmen haben möchte.“
Bergdolt rät den Aktionären nun zum Verkauf. Auch die meisten Analysten haben ihr Votum am Montag ausgesetzt oder zum Verkauf geraten. Dass der Aktienkurs noch nicht auf null gefallen ist, führt sie darauf zurück, dass einige die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. Theoretisch denkbar sei in späteren Abstimmungsrunden im StaRUG-Verfahren, dass die nötige Mehrheit von 75 Prozent nicht zustande käme für den Plan. „Allein der Großaktionär stellt dies aber fast sicher, und da einige Aktionäre den Abstimmungen in aller Regel fernbleiben, dürfte das sicher reichen“, sagt Bergdolt.
Das StaRUG soll Unternehmen, die im Prinzip sanierungsfähig sind, vor einer Insolvenz bewahren. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen „lediglich drohend zahlungsunfähig“ ist, wie CMS Deutschland darlegt: Die „Zahlungsunfähigkeit in den nächsten 24 Monaten ist überwiegend wahrscheinlich, wenn nicht geeignete Sanierungsmaßnahmen ergriffen werden“. Gläubiger lassen sich im Kern auf einen Schuldenschnitt ein, wollen aber als Bedingung Opfer der Eigenkapitalseite.
Im Zentrum steht der Restrukturierungsplan, der auch in die Rechte der Anteilsinhaber eingreifen kann – bis hin zur Enteignung der Anteilseigner, technisch über einen Kapitalschnitt auf null. Genau dies fordern nach Vartas Darstellung die Varta-Gläubiger. Sie sind demnach nur zu einem Schuldennachlass bereit, wenn das bestehende Grundkapital auf null herabgesetzt wird und frisches Kapital für die Restrukturierung eingebracht wird, Eigen- oder Fremdkapital. Bei der Kapitalherabsetzung auf null scheiden Anteilseigner ohne Entschädigung aus der Gesellschaft aus, die Börsennotierung der Aktien erlischt. Das vollzieht sich nach Abschluss des StaRUG-Verfahrens.
Zu erwarten ist nach Aussage von Insidern ein wochen- bis monatelanger Prozess. Ein mit dem Fall vertrauter Kenner sagte, die Beteiligten wollten das Verfahren bis Oktober abschließen.
Eine Reihe kapitalmarktspezialisierter Anwaltskanzleien ist nach Auskunft aus Finanzkreisen eingeschaltet: unter anderem Noerr für die Altkreditgeber, Freshfields für die Neukreditgeber, Grub Brugger für den Mehrheitsaktionär MTC. Noerr und Clifford Chance bestätigten auf Anfrage, Grub Brugger und Freshfields lehnten eine Stellungnahme zunächst ab.
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