2024-04-24 20:45:32
Gespielt hat Timothy Chandler beim 3:1-Heimerfolg gegen Augsburg nicht – wie so oft in dieser Bundesligasaison, in der er nicht zu den Hauptdarstellern zählt. Aber die Zuneigung und den Respekt der Eintracht-Anhänger bekam der 34-Jährige vor fast einer Woche im Waldstadion dennoch mit voller Hingabe zu spüren. Als er sich in der zweiten Halbzeit vor der Kurve warm machte, riefen sie laut seinen Namen und applaudierten ihm herzlich. Er lachte vor Freude, klatschte in die Hände und winkte in Richtung der Ränge zurück. So hatte auch Chandler, der beim Publikum besondere Emotionen weckt, seinen ganz persönlichen Erfolgsmoment, den er sichtbar genoss.
Der Publikumsliebling, der für viele mit seiner umgänglichen und humorvollen Art Kult ist, verfügt in seiner Heimatstadt Frankfurt über eine Sonderstellung. Sein Standing und seine Anerkennung verschafft er sich nicht mehr über sein aktuelles Leistungsvermögen auf dem Platz. Dort spielt Chandler aktiv kaum noch eine Rolle; in seinen bisherigen fünf Einsätzen brachte er es insgesamt nur auf zehn Minuten Spielzeit, seine sechs Minuten Anfang April gegen Werder Bremen (1:1) waren dabei die längsten.
[–>
Auch an diesem Samstag (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) in München wird Chandler wohl wieder in der Zuschauerrolle auf der Bank Platz nehmen. Ob die Bayern schon an den kommenden Champions-League-Gegner Real Madrid denken würden und so womöglich abgelenkt seien, wurde er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz gefragt. „Spekulieren ist schwierig bei den Bayern. Dann kann man schnell auf den Poppes fallen“, antwortete Chandler gewohnt amüsant und fügte hinzu: „Wir müssen in die Zweikämpfe gehen und die Bayern nerven.“
[–>[–>
Der vielseitig einsetzbare Rechtsverteidiger, der betont, seine ihm zugewiesene Rolle „immer zu akzeptieren“, zehrt im Ansehen von seiner Treue zum Klub, seiner Loyalität, seiner Aufgabe als Identifikationsfigur und seiner Unkompliziertheit, die ihn zu einer geschätzten Persönlichkeit im Verein und dessen Umfeld machen. Seit 2001 trägt er das Eintracht-Trikot, unterbrochen nur von seiner Zeit beim 1. FC Nürnberg von 2010 bis 2014. Auf 194 Pflichtspiele für Frankfurt mit zehn Toren und 17 Vorlagen blickt Chandler bisher zurück.
[–>
Dann greift Chandler ein und durch
[–>
Als dienstältester Profi, der gerade seinen Vertrag bis zum 1. Juli 2025 verlängert hat, kommt ihm mit entsprechendem Stallgeruch in der neuen Saison eine noch wichtigere Rolle zu. Denn mit Kapitän Sebastian Rode und dem 40 Jahre alten Makoto Hasebe, mit dem er vor zehn Jahren vom FCN an den Main zurückgekommen war, beenden zwei Führungsspieler mit großer Erfahrung nach dieser Runde ihre Karriere. Beide werden eine große Lücke hinterlassen.
[–>
Aus dem alten Bestand an arrivierten Kräften und Meinungsführern bleiben dann nur noch Torhüter Kevin Trapp – und die Frohnatur Chandler, der immer gute Laune hat, es sei denn, er bemerkt, „dass es in der Kabine nicht stimmt, wenn die Energie oder der gegenseitige Respekt fehlen“. Dann greift der Deutsch-Amerikaner als Respektsperson ein und durch. „Sehr wichtige Säulen gehen uns nach dieser Saison verloren.“ Deshalb, so Chandler, müssten sich während der Vorbereitung auf die kommende Spielzeit „andere Spieler“ in die Rolle einer Führungsperson „hineinarbeiten“. Sein Mitspieler Ellyes Skhiri beispielsweise müsse „aus sich herauskommen“, sagte Chandler und wollte das als gut gemeinte Empfehlung verstanden wissen. „Die Kabine kriegen wir so unter Kontrolle. Aber es ist auch wichtig, was auf dem Platz passiert.“
[–>

Dort schafften es die Frankfurter in dieser Runde zu oft nicht, die Erwartungen zu erfüllen. Im Hinblick auf das Auftreten des Teams hätten „vielen mal die Leidenschaft und der gewisse Zweikampf gefehlt“ – das erfuhr Chandler, der sehr kontaktfreudig ist, in vielen Gesprächen mit Eintracht-Anhängern. Seine Meinung: „Wir dürfen diese Tugenden, das, was uns erfolgreich gemacht hat, nicht wegwerfen.“ Für die Pfiffe wie in der ersten Halbzeit gegen Augsburg bringt Chandler Verständnis auf. Er lässt sich davon nicht beirren. Er versteht diese vielmehr als Ansporn, die Dinge besser zu machen. Davon mental runterziehen lassen dürfe man sich nicht, sagte Chandler. „Die Leute können ihre Meinung äußern. Wichtig ist, wie man damit umgeht.“
[–>[–>
Bei dem einen oder anderen aufgrund der zu oft nicht zufriedenstellenden Spielweise der Eintracht in die Kritik geraten ist Trainer Dino Toppmöller. Er befindet sich in Frankfurt auf seiner ersten Cheftrainerposition in der Bundesliga. „Es ist ein Lernprozess für Dino Toppmöller. Es prasselt viel auf ihn ein.“ Das sei ja auch nicht immer so leicht, wenn man einen Plan hat und vielleicht merkt, dass er nicht so ganz funktioniert.“ Der Trainer werde die Dinge anpassen, glaubt Chandler. Er selbst weiß mit Kritik an seiner Person in den sozialen Netzwerken gut umzugehen. Wenn er sich diese zu sehr zu Herzen genommen hätte, „hätte ich schon vor zehn Jahren mit dem Fußball aufhören müssen“, so Chandler gewohnt humorvoll.
[–>
Sportvorstand Markus Krösche schätzt ihn als „Identifikationsfigur und wichtigen Spieler. Gerade für die jungen Spieler“ sei das Urgestein „ein wertvoller Ansprechpartner auf dem Platz und in der Kabine“, so Krösche. „Mit seiner positiven Art schafft er es, andere mitzureißen.“ Für den anerkannten Stimmungsmacher – im Trainingslager spielt er zur allgemeinen Erheiterung den kritischen und peniblen Zimmerservice – zählt immer „das große Ganze – und das ist Eintracht Frankfurt“, betont Chandler. Er ist Mentor für die jungen und die neuen Spieler und trägt intern den Titel „Integrationsminister“.
[–>
Wenn er gebraucht wird, ist er mit Rat und Tat zur Stelle und kümmert sich um die Sorgen und Nöte. Für seine Kollegen hat er immer ein offenes Ohr. „Die Jungs kommen erst einmal an und finden ihren Platz in der Kabine, dann hören sie mich meistens schon – in unterschiedlicher Lautstärke.“ Den Talenten rät Chandler, „zu zeigen, dass sie unbedingt Profi bei der Eintracht werden wollen. Sie sollen alles reinhauen und keine Angst haben, Fehler zu machen. Da halte ich auch meine schützende Hand drüber“, sagt er.
[–>[–>
Seinen Ehrgeiz, darauf legt Chandler Wert, habe er heute nicht verloren. Er, der für Mentalität und Moral steht, sei „zu hundert Prozent Fußballprofi“ und wolle „eine Chance bekommen“. So wie Ende Oktober 2023 gegen Helsinki, sein erster Einsatz in dieser Saison, als er nach 79 Minuten eingewechselt wurde. Bei jeder Ballberührung wurde er dann von den Fans im Stadion bejubelt. Ganz besonders bei seiner Vorlage zum 6:0 durch Junior Dina Ebimbe. Der gefeierte Chandler bewies wieder, dass er sich nicht hängen lässt, auch wenn seine Zeit als Stammspieler abgelaufen ist. Wenn er manchmal nur vom Verletzungspech seiner Mitspieler profitiert und dadurch ein paar Einsatzminuten erhält.
[–>[–>
„Die Leute wissen, was ich für die Eintracht geleistet habe“, sagt er über seine Verdienste. Chandler muss nicht Kapitän oder Torjäger sein, damit sein Wort Gewicht hat. Zum Wohl der Eintracht hat er seine Nische gefunden. Und seinem Herzensklub wird er wohl auch nach seiner aktiven Karriere nicht den Rücken kehren. „Eintracht Frankfurt ist mein Zuhause“, sagt der Familienvater Chandler. „Das ist meine zweite Familie.“
[–>
Und wenn es mal zu einem Missverständnis kommt, kann er darüber schmunzeln. Vor drei Jahren nämlich hatte die Eintracht vermeldet, dass Chandlers Vertrag bis zum 1. Juli 2025 verlängert worden sei. In Wirklichkeit war es aber nur bis zum 1. Juli 2024. Er störte sich nicht daran. „Ich wusste ja, dass ich hierbleibe.“ Das sei ein „kleiner Kommunikationsfehler“ gewesen. „Es sei jedem erlaubt“, sagte Chandler am Mittwoch und grinste. Typisch Chandler.
#quun #simple #favori #des #fans
1713991044