2024-11-13 20:42:00
Sich selbst bezeichnet Alexander Nübel als „sehr, sehr geduldigen Menschen, auch im Privatleben“. Das war nicht immer so, wie der Fußball-Nationaltorhüter am Mittwochmittag im Gespräch auf dem Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erzählte. „Früher bin ich schneller hochgegangen, aber in den letzten zwei, drei Jahren ist das alles ein bisschen ruhiger geworden.“
Die Station im Ausland bei der AS Monaco hat Nübel reifen lassen, andere Perspektiven aufgezeigt, auf dem Rasen, aber auch daneben. „In Deutschland ist man eh ein bisschen ungeduldiger und regt sich schneller auf als im Ausland“, sagte der 28 Jahre alte gebürtige Paderborner, der in Monaco mediterrane Gelassenheit kennen- und schätzen lernte: „Das kostet nicht so viele Nerven und macht das Leben deutlich angenehmer.“
Diese neue innere Ruhe hilft ihm auch im Berufsleben. Nübels Geduld wird immer wieder gefordert, sei es beim Warten auf einen Platz im Tor des FC Bayern, bei dem er unter Vertrag steht, für den er im Schatten von Manuel Neuer seit dem Wechsel von Schalke 04 nach München im Sommer 2020 aber nur vier Spiele machen durfte. Sei es bei der Berufung in die deutsche Nationalmannschaft, in der er im Oktober beim Spiel in Bosnien-Hercegovina debütieren durfte.
Ob Nübel bei den abschließenden Nations-League-Spielen an diesem Samstag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Nations League und bei RTL) in Freiburg gegen Bosnien oder am Dienstag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Nations League und im ZDF) danach in Budapest gegen Ungarn, für die sein Stuttgarter Mitspieler Angelo Stiller wegen muskulärer Probleme ausfällt, zum zweiten Länderspiel kommt, ist unklar. Die Entscheidung zwischen ihm und Oliver Baumann ist noch nicht kommuniziert.
Aus der Ruhe bringt Nübel weder das eine noch das andere. Mit der Situation in München, von wo er erst nach Monaco und seit Mitte 2023 zum VfB Stuttgart verliehen worden ist, und wo Neuer trotz seines Rücktritts aus der Nationalmannschaft mindestens bis zum kommenden Sommer spielen wird, hat er sich längst abgefunden, ganz ohne Groll. „Solange Manu da ist, macht es keinen Sinn, dass ich zurückkomme“, sagte Nübel am Mittwoch.
Relativ entspannt in einer Luxussituation
Er sei froh, zu einem guten Verein ausgeliehen zu sein. „Wir spielen Champions League, haben einen sehr, sehr guten Trainer, dessen Spielstil meinem sehr nahekommt.“ Eine Frist, wann er die Hoffnung auf den Platz im Tor in München, wo er einen Vertrag bis in den Sommer 2029 besitzt, aufgibt, möchte er sich nicht setzen. „Ich bin relativ entspannt, weil ich in einer Luxussituation bin, in der ich mich sehr wohl fühle“, sagte er. Schließlich sei er in der Zeit in Stuttgart ins Nationalteam berufen worden. „Viel mehr kann ich nicht verlangen.“
Auch die Konstellation im DFB-Team beinhaltet nicht nur kurzfristig Fragezeichen. Marc-André ter Stegen, der wegen einer schweren Verletzung wohl nicht vor September, wenn die WM-Qualifikation beginnt, in den Kreis der Nationalspieler zurückkehren wird, soll dann wieder die Nummer eins werden. Doch ob die Genesung reibungslos verläuft und er zur neuen Saison gleich wieder auf altem, höchstem Niveau beim FC Barcelona spielen kann, steht in den Sternen. Aber auch mittel- und langfristig ist die Lage nicht so eindeutig wie gewohnt aus den großen Ären eines Sepp Maier, Toni Schumacher, Oliver Kahn oder eben Neuer im traditionellen Torwartland Deutschland.
Wenn im Juni 2026 die Weltmeisterschaft in den USA, Kanada und Mexiko beginnt, wird Baumann 36 Jahre alt sein, ter Stegen 34. Auch andere Torhüter, die in der Zeit von Julian Nagelsmann als Bundestrainer nominiert wurden, haben ihren 30. Geburtstag schon hinter sich: Kevin Trapp und Janis Blaswich sind zum WM-Start 35, Bernd Leno, der im Oktober als dritter Mann nicht anreisen wollte und daher vermutlich keine Rolle mehr spielen dürfte, 34. Stefan Ortega Moreno, nun erstmal berufen und von Nagelsmann hinter Baumann und Nübel als „Nummer drei aktuell in unserem Kader“ deklariert, ist dann auch schon 33.
„Nicht wichtig, mit 18 oder 19 Jahren durchzustarten“
Einen jüngeren Torwart für die A-Nationalmannschaft zu nominieren und zu einem mittelfristigen Nachfolger der älteren Semester aufzubauen, kam für Nagelsmann nicht in Frage, zumindest noch nicht. „Wir haben im Sommer ein großes U-21-Turnier (die Europameisterschaft in der Slowakei/d. Red)“, sagte er. „Ich sehe nicht so den Sinn dahinter, jetzt potentielle U-21-Keeper einzuladen zu einem Lehrgang, bei dem sie zehn Tage bei uns sind und ihrer Mannschaft fehlen, mit der sie im Sommer den Titel holen sollen.“ Das fände Nagelsmann „seltsam, wenn es nicht zwingend notwendig ist“. Daher bereiten sich Noah Atubolu vom SC Freiburg, der Kölner Jonas Urbig und Tjark Ernst von Hertha BSC derzeit parallel auf die U-21-Testspiele gegen Dänemark und in Frankreich vor.
Auch Nübel hat wahrgenommen, dass er mit nun 28 Jahren derzeit der einzige deutsche Vertreter „seiner“ Generation auf höchstem Niveau ist. Grund zur Sorge sieht er nicht und zieht sich selbst als Paradebeispiel heran. „Als Torwart ist es nicht wichtig, mit 18 oder 19 Jahren direkt durchzustarten.“ Widerstandsfähigkeit zu entwickeln und Situationen mit Konkurrenz zu erleben, damit umzugehen und realistisch zu sehen, all das lernte er mit der Zeit. „Ich habe mehrere Vereine gehabt, eine Station im Ausland. Ich bin froh, dass ich die Schritte so gemacht habe, weil ich jetzt schon relativ viel erlebt habe.“
Und so könne es gut sein, dass bald einer „den man jetzt noch nicht auf dem Schirm hat, mit 25, 26 richtig durchstartet“. Zumal er auch seine Konkurrenten, die den 30. Geburtstag hinter sich haben, nicht so schnell abschreiben will. „Die hören ja nicht in den nächsten ein, zwei Jahren auf. Und wir haben es an Manuel Neuer gesehen, dass man auch im höheren Alter noch auf höchstem Niveau spielen kann.“ Aus der Ruhe hat Nübel das nicht gebracht und, so seine Lehre, es gibt für ihn keinen Grund daran zu zweifeln, dass das Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Zukunft in sicheren Händen ist. Womöglich in seinen.
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