2024-11-28 14:19:00
Einen Ausflug zu einer Pokalauslosung hat der 1. FC Heidenheim schon einmal gemacht. Das war in den Neunzigerjahren. Damals hieß der Verein noch Heidenheimer SB. Mit dem Auto ging es ins etwa 20 Minuten entfernte Burgberg zum Staffeltag, bei dem die Partien für den Fußballbezirkspokal bestimmt wurden. Holger Sanwald war damals frisch gewählter Abteilungsvorsitzender. Er verfolgte gespannt, welchen Gegner die zweite Mannschaft seines Klubs, die in der Kreisliga B spielte, zugelost bekam.
In diesem Sommer war Sanwald bei einer weiteren Auslosung, nun auf Einladung der Europäischen Fußball-Union UEFA. In Monaco ging es um die Heidenheimer Gegner in der Conference League. Für Sanwald „ein Gänsehautmoment“, wie er dem TV-Sender Sky sagte. Und der 1. FC Heidenheim zog das ganz große Los: Der FC Chelsea, Champions-League-Sieger 2012 und 2021, kommt auf die Ostalb zum einstigen Landesligaklub, der nach einem sensationellen Aufstieg aktuell in seiner erst zweiten Bundesligasaison steht. Für viele Fußballfans ist das ein „Jahrhundertspiel“, für Sanwald, das sagte er in dieser Woche der F.A.Z., „das größte David-gegen-Goliath-Duell in unserer Vereinsgeschichte“.
„Vor einigen Monaten undenkbar gewesen“
Nur 15.000 Plätze hat die Heidenheimer Arena auf dem Schlossberg über der Stadt, kleiner ist kein anderes deutsches Bundesligastadion. An diesem Donnerstag (18.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Conference League und bei RTL+) wird es Schauplatz eines Duells zwischen einem Weltklub mit einem Kader-Marktwert von knapp einer Milliarde Euro und einem Provinzverein, der seit Jahren zwar kontinuierlich erfolgreich arbeitet, aber eben in ganz anderen Maßstäben. Derzeitiger Heidenheimer Kader-Marktwert: etwas über 63 Millionen Euro. So eine Partie sei „vor einigen Monaten undenkbar gewesen“, sagte Heidenheims Trainer Frank Schmidt am Mittwoch bei der Pressekonferenz.
„Es wird ganz bestimmt eine besondere Europapokal-Atmosphäre herrschen“, sagt Sanwald, „dass dieses Spiel etwas ganz Besonderes für unsere Fans darstellt, ist seit dem Tag der Auslosung spürbar gewesen. Die Kartennachfrage ist enorm, das mediale Interesse ebenso.“ Bis zu 1700 Fans des einstigen englischen Spitzenklubs, der in der vergangenen Saison zu kämpfen hatte und sich in der Premier League nur für den dritten internationalen Wettbewerb qualifiziert hat, werden für das Spiel anreisen.
Einer der Fans ist Jérôme Mäser. Er ist Mitglied bei den German Blues, dem offiziellen Fanklub des FC Chelsea in Deutschland. Mäser, heute 32 Jahre alt, war unter anderem beim Europa-League-Finale 2019 in Baku und beim Champions-League-Finale 2021 in Porto. Jetzt nach Heidenheim zu fahren sei „schon ein bisschen verrückt“. Dieses Jahr läuft es für Chelsea in der Liga immerhin besser, die Mannschaft von Trainer Enzo Maresca steht nach zwölf Spielen mit 22 Punkten auf Tabellenplatz drei, die Rangliste in der Conference League führen die „Blues“ nach drei Siegen aus drei Spielen an.
„Wie kommt man dahin? Wo übernachten wir?“
Tausende Fans aus England hätten sich um die Tickets beworben, sagt Mäser, der für viele englische Freunde als wichtiger Ratgeber gefragt ist: „Sie wollen wissen: Wie kommt man dahin? Wo übernachten wir? Aber auch: Was hat es mit diesem Verein auf sich? Wie kann es sein, dass dieser Verein international spielt?“ Sie freuen sich darauf, einen neuen Ort und einen neuen Gegner kennenzulernen. „Das sind die schönen Geschichten, die der Fußball schreibt“, sagt Mäser im Gespräch mit der F.A.Z.
Schon vor Wochen reisten Mitarbeiter des englischen Klubs in die Kleinstadt an der Landesgrenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern, um sich bei einer Vorabbesichtigung des Stadions und der Vereinsanlagen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen und Abläufe für die Mannschaft am Spieltag oder bei der Anreise der Fans zu klären. „Das lief ganz professionell ab, wie man es von einem internationalen Topklub erwartet“, sagt Sanwald. „Anders als unsere Gegner in der Bundesliga wird der FC Chelsea aber sein Material zum Spiel im 7,5-Tonner-LKW anliefern und nicht in Kleinbussen.“
Für weite Teile der Fußballwelt ist der 1. FC Heidenheim nach wie vor Neuland, auch wenn die Mannschaft von Trainer Frank Schmidt in der Conference League – anders als in der Liga und im Pokal, wo es bislang eher durchwachsen lief – zuletzt mächtig Eindruck gemacht hat. Zwei Siegen in den Play-offs folgten drei Siege in der Gruppenphase, nur die schlechtere Tordifferenz führt zu den fünf Plätzen Rückstand auf Chelsea in der internationalen Tabelle.
„Wäre eine Riesensensation“
Die Favoritenrolle ist dennoch eindeutig verteilt. Chelsea ist zweimaliger Champions-League-Sieger, Klub-Weltmeister, zweimaliger UEFA-Cup-Sieger, zweimaliger Europa-League-Sieger, zweimaliger Sieger im Europapokal der Pokalsieger, sechsmaliger englischer Meister, achtmaliger Pokalsieger, fünfmaliger Ligapokal-Gewinner und viermaliger Supercup-Sieger.
Der 1. FC Heidenheim gewann einmal die dritte und einmal die zweite Liga und sechsmal den Württembergischen Landespokal. „Der Unterschied könnte größer nicht sein. Es braucht fast schon eine magische Nacht. Es wäre eine Riesensensation, wenn wir da was mitnehmen könnten“, sagte Schmidt, der die Partie als eines „der absoluten Tophighlights für den Trainer, die Stadt und die Fans” bezeichnete.
Und doch will sich Heidenheim gegen Chelsea so teuer wie möglich verkaufen. „Rein sportlich wird es in dieser Saison noch wichtigere Spiele für uns geben“, sagt Sanwald mit Blick auf die derzeitige Lage in der Bundesliga, wo sein Verein mit zehn Punkten kurz vor der Abstiegszone steht. „Aber wir wollen gegen den FC Chelsea mit unseren Mitteln dagegenhalten. Wohlwissend, dass wir wahrscheinlich noch nie als größerer Außenseiter in ein Spiel gegangen sind.“
#Heidenheim #contre #Chelsea #grand #duel #David #contre #Goliath
1732794747