2024-12-03 17:30:00
Mitten in diesem Sommer, in dem er sich mit der deutschen Männernationalmannschaft in Frankreich schon für das erste Spiel des olympischen Basketballturniers bereitmachte, sprach Gordon Herbert mit einem Spieler, mit dem er davor noch nie gesprochen hat. Der Bundestrainer arbeitete in diesen Sommertagen nämlich nicht nur an einer großen Mission, der ersten olympischen Medaille in der Geschichte des deutschen Basketballs, sondern auch an einer kleinen.
Es ist damals 48 Stunden vor dem ersten Vorrundenspiel der Deutschen verkündet worden, dass Herbert, der Weltmeistertrainer, im Anschluss an die Sommerspiele in Frankreich der Headcoach des FC Bayern München werden würde. Er selbst sagte, dass er sich, so wurde er in der Pressemitteilung seines neuen Klubs wiedergegeben, davor aber „100-prozentig“ auf die Nationalmannschaft konzentrierten werde. Und weil man ihm das glauben durfte und weiter glauben darf (seine Mannschaft verlor erst im Spiel um Bronze gegen Serbien), verdeutlicht die Tatsache, dass er dann doch eine Ausnahme machte, wie wichtig ihm dieses eine Gespräch gewesen ist.
Herberts kleine Mission hat sich gelohnt
Jetzt, da Gordon Herbert, 65 Jahre alt, seit dreieinhalb Monaten in München ist, kann man schon sagen, dass seine kleine Mission sich gelohnt hat. Er hat mit dem FC Bayern in der Euroleague, in dem anspruchsvollsten europäischen Basketballwettbewerb, gleich acht der ersten zwölf Spiele gewonnen. Und wenn man vor den nächsten Spielen in Istanbul (Dienstag, 18.30 Uhr, Magentasport) und in München gegen Vitoria-Gasteiz (Donnerstag, 20.30 Uhr, Magentasport) erklären will, warum das alles so gut läuft, lohnt es sich, mit dem Anruf anzufangen.
Es ist ein November-Nachmittag in München, als der Mann, den Herbert angerufen hat, in der Basketballhalle im Westpark aufsteht und seine Hand ausstreckt. „I’m Carsen“, sagt Carsen Edwards, 26 Jahre alt, 1,80 Meter groß. Dabei muss er in den Basketballhallen in Europa spätestens seit dieser Saison nicht mehr sagen, wer er ist, weil man dort Woche für Woche seine Bestleistungen sieht: 32 Punkte gegen Paris. 30 Punkte gegen Piräus. 26 Punkte gegen Bologna. 25 Punkte gegen Barcelona. In seiner zweiten Saison in München macht Edwards, der meistens auf der Position des Shooting Guards spielt, in der Euroleague im Durchschnitt 19,8 Punkte pro Spiel. Bestwert.
Wunsch nach Beständigkeit
Auf die Frage, warum er so gut wie wohl noch nie in seiner Karriere spielt, kann man nun eine kurze und eine nicht ganz so kurze Antwort geben. Die kurze geht so: Weil er sich wohlfühlt, seit Herbert ihn angerufen hat.
In den Tagen im Sommer saß Edwards, so erzählt er es selbst, in Texas, seinem Heimatstaat in den USA, und dachte darüber nach, wo er wohl in der nächsten Saison spielen würde. Er wollte das erste Mal seit dem September 2021, seit die Boston Celtics ihn weggeschickt hatten, nicht schon wieder nach einer Saison die Mannschaft wechseln.
Er wollte in München bleiben, wo er mit dem FC Bayern in seiner ersten Saison sofort die Meisterschaft (er wurde MVP der Finalserie) und den Pokal gewonnen hatte. Und auch wenn Edwards mit seinen wilden Würfen und seinen Aussetzern in der Abwehr die Manager in München manchmal wahnsinnig machen konnte, wollten auch sie, dass er bleibt. Doch Edwards stellte eine Bedingung, die die Bayern nach dem Abschied des Spaniers Pablo Laso nicht sofort erfüllen konnten: Er wollte wissen, wer sein Trainer sein wird.
„Es hat mir viel bedeutet“
Am 2. August, an dem Gordon Herbert mit Deutschland das dritte Gruppenspiel gegen Frankreich gewann, verkündete der FC Bayern, dass Carsen Edwards seinen Vertrag verlängert hat. Und an dem Nachmittag im November sagt Edwards über den Anruf des Trainers: „Er war sehr beschäftigt und hatte nicht so viel Zeit, aber es hat mir viel bedeutet und mir ein gutes Gefühl gegeben.“
Gordon Herbert und Carsen Edwards, ein Trainer, der Vertrauen gibt und ein Spieler, der Vertrauen spürt – das ist die kleine Geschichte, die erklärt, warum die Basketballmannschaft des FC Bayern München in dieser Saison eine große Geschichte schreiben könnte. Es spricht momentan einiges dafür, dass sie das erste Mal seit 2022 wieder einen Platz in den Play-offs der Euroleague erobern kann. Und es spricht, auch wenn man da sehr vorsichtig sein muss, sogar manches dafür, dass sie, das wäre die große Geschichte, als erste deutsche Mannschaft sogar einen Platz im Final Four der Euroleague erobern könnte.
Tag für Tag auf dem Kirchenparkplatz in Houston
Es sind natürlich nicht nur sportpsychologische Gründe, die den Erfolg der Bayern erklären, sondern sporttaktische. Seit dieser Saison spielen sie deutlich schneller. Und damit so, wie Edwards spielen möchte – und spielen muss.
Fragt man ihn, wie er es mit 1,80 Metern schafft, immer wieder mit dem Ball in die Zone zu dribbeln und den Ball dann trotz des Rammens und Rempelns der Zwei-Meter-Männer in den Korb zu legen, erzählt er von dem Basketballkorb auf einem Kirchenparkplatz in Houston. Dort fuhr seine Mutter ihn und seinen Bruder früher fast Tag für Tag hin. Der Vater, der oft verreist war, sagte der Mutter dann am Telefon, dass sie die rechte Hand der Kinder mit einem Gürtel an der Hose binden soll, damit sie lernen müssen, mit dem linken Hand zu dribbeln. Und später, als er nicht mehr auf dem Kirchenparkplatz übte, sondern in den Hallen der NBA, wusste er, dass er wegen seiner Größe nicht nur besser dribbeln, sondern auch von weiter weg werfen muss als andere Spieler.
Ein Spieler, der das Publikum elektrisieren kann
Das reichte dann nicht für die NBA. Doch das reicht, um auf die Frage, warum er gerade wohl so gut spielt wie noch nie, die nicht ganz so kurze Antwort zu geben: Weil er so schnell dribbeln kann, sollten die Verteidiger der Euroleague eigentlich etwas Abstand halten, sonst dribbelt er an ihnen vorbei. Und weil er seinen Wurf selbst aus großer Distanz momentan so sicher trifft, dürfen sie eigentlich keinen Abstand halten, sonst wirft er.
Doch was denkt der Mann, der ihn im Sommer aus Frankreich angerufen hat?
Er sei „electric“, also ein Spieler, der das Publikum elektrisieren kann, sagt Gordon Herbert, der kanadische Trainer, der an diesem Nachmittag im November auch in der Halle ist. Doch das wusste er schon, als er ihn damals anrief (“es war ein sehr direktes Gespräch“). Mittlerweile weiß Herbert aber auch, dass Edwards “coachable“ sei, sich von den Trainern also etwas sagen lasse, weil er wirklich besser werden wolle. Und weil er trotz aller Schwächen, die immer noch da sind (Auswahl der Würfe) und wahrscheinlich immer da sein werden (Abwehr), auch besser wird, gibt er ihm im Angriff Freiheiten, die in seinen Mannschaften nur die Besten bekommen.
Wenn Marko Pešić, der Basketball-Geschäftsführer des FC Bayern, Carsen Edwards auf dem Parkett sieht, sieht er einen Spieler, der mit seinem kräftigem Körper und seinen schnellen Bewegungen in der Euroleague einzigartig sei. Und doch ist es kein Dribbling und kein Wurf, der ihm als Erstes in den Sinn kommt, wenn er über Edwards spricht, sondern eine Umarmung.
Am neunten Spieltag der Euroleague verloren die Bayern gegen Fenerbahce Istanbul, den Klub, für den Edwards in der Saison 2022/23 spielte. Als Pešić vor dem Spiel in der Halle in Istanbul stand und sah, wie mehrere Fenerbahce-Spieler Edwards umarmten und sich selbst nach anderthalb Jahren offensichtlich freuten, ihn wiederzusehen, da dachte er sich: Dieser Carsen Edwards kann einer Mannschaft mehr als nur Punkte geben.
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