2025-02-05 12:56:00
Immer noch gibt es Theken in Köln, an denen man nur den Namen Florian Wirtz erwähnen muss, um das Blut in Wallung zu bringen. Dass der am Geißbockheim ausgebildete Superfußballer Bayer Leverkusen zum deutschen Meister gemacht hat, ist eine tiefsitzende Demütigung, deren Ursachen wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit diskutiert werden.
Insofern überrascht die Nonchalance, mit der der Kölner Trainer Gerhard Struber den verlorenen Spieler am Montag kurzerhand zum Angehörigen der eigenen Sippschaft erklärt hat. Zu einem Fußballer, auf den Lokalpatrioten vielleicht doch ein bisschen stolz sein sollten.
Vor dem Viertelfinale im DFB-Pokal, das den großen Zweitligaklub von der linken Rheinseite zum früher einmal kleinen Doublesieger vom rechten Ufer führt an diesem Mittwoch (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zum DFB-Pokal, in der ARD und bei Sky), schwärmt der Kölner Trainer von dem „deutschen Messi, der hier aus Köln kommt“. Und der an so einem einzelnen Pokalabend „mit ein bisschen Glück“ durchaus kontrollierbar und vielleicht sogar besiegbar ist.
Das ist eine schöne Perspektive auf den Wirtz-Schmerz, der in dieser Woche nicht nur wegen des direkten Duells der rheinischen Rivalen besonders präsent ist im Schatten des Doms. Mit dem 3:1 gegen die TSG Hoffenheim vom vorigen Sonntag hat Bayer Leverkusen den 1. FC Köln auch in der Ewigen Tabelle der Bundesliga überholt und gute Aussichten, dauerhaft vor dem Klub mit dem Geißbock zu rangieren.
„Wir haben eine gute Tendenz“
„Wir sind abgestiegen, und Leverkusen ist Meister geworden. Das kann man ja nicht wegdiskutieren“, sagt Thomas Kessler, der Leiter der Kölner Lizenzspielerabteilung, zu diesem geschichtsträchtigen Vorgang. „Das haben wir uns selbst eingebrockt. Aber wir schauen auf unsere Themen.“
Wichtiger ist den Verantwortlichen ganz akut das Spiel in Leverkusen; das vorrangige Ziel bleibt jedoch die Rückkehr in die Bundesliga im Sommer. Und da sieht es ganz gut aus, der FC ist Tabellenerster, und Kessler sagt: „Ich glaube, wir haben eine gute Tendenz über die letzten Wochen. Wir stehen nicht ganz zu Unrecht an der Tabellenspitze. Und das hat natürlich auch etwas mit der Entwicklung der Mannschaft zu tun.“
Nur ist die Tabelle so eng, dass an einem einzigen ungünstigen Spieltag der Sturz bis auf Rang vier droht. Außerdem ist der FC kein Tabellenführer, der mit selbstbewusstem Spitzenfußball Herzen erobert.
Seit Wochen gewinnen die Kölner viele meist sehr zähe Fußballschlachten, gerne mit nur einem Tor Unterschied. Weil sie meist irgendwann in Führung gehen und dann mit großer Willenskraft und einigem Geschick verteidigen. Das ist die Stärke dieser Mannschaft, die in den ersten Saisonwochen noch spektakulär nach vorne spielte, aber viel zu viele Gegentore zuließ und beinahe genauso viele Punkte verschwendete.
Das hat sich geändert, nachdem Struber die Strategie angepasst, einen pragmatischeren Stil angeordnet und den erfahrenen Ersatztorhüter Marvin Schwäbe zur Nummer eins erklärt hat. Weichen musste Jonas Urbig, der in der Folge für sieben Millionen Euro zum FC Bayern verkauft wurde – womit wieder Wirtz ins Spiel kommt. Denn der FC steht unter dem Verdacht, sehr geschickt große Talente zu entwickeln, die dann aber schnell den Verein wechseln, statt an einer erfolgreichen Zukunft des FC mitzuwirken.
Wirtz machte kein einziges Profispiel für die Kölner, Yann Aurel Bisseck wurde nach Aarhus verscherbelt und ist heute eine tragende Säule bei Inter Mailand, der heutige Dortmunder Serhou Guirassy wurde beim FC für ein paar vergebene Chancen ausgelacht und wieder nach Frankreich abgegeben.
„Punktuell gute Lösungen gefunden“
Vor der Saison ging Justin Diehl an den VfB Stuttgart verloren, und im Sommer wird Tim Lemperle wohl nach Hoffenheim wechseln – um nur einige Fälle zu nennen. Für jeden dieser Verluste können die Verantwortlichen Erklärungen liefern, aber vielleicht gibt es auch ein kulturelles Problem. Bislang ist es jedenfalls nicht gelungen, eine Gruppe von Talenten zusammenzubinden, die daran glauben, gemeinsam in Köln in die Bundesliga hineinwachsen zu können, um mit ihrem Heimatverein eine bessere Zukunft zu begründen.
Immerhin ist in diesem Winter eine von der FIFA verhängte Transfersperre zu Ende gegangen, aufgrund deren der Klub ein Jahr lang keine neuen Spieler verpflichten durfte. Nun sind mit dem Innenverteidiger Joël Schmied (FC Sion), dem Rechtsverteidiger Jusuf Gazibegović (Sturm Graz), dem ausgeliehenen Torwart Anthony Racioppi (Hull City) und dem Mittelstürmer Imad Rondić (Widzew Lodz) neue Profis verpflichtet worden. Er sei „unter dem Strich zufrieden“, sagt Kessler, „wir haben nicht mit der Brechstange, sondern ganz bedacht punktuell gute Lösungen gefunden“.
Zwar kann keinem dieser neuen Profis zugetraut werden, die spielerischen Schwächen abzustellen. Aber in Leverkusen wird ohnehin die Werkself das Spiel machen, während der Außenseiter aus der zweiten Liga resilient sein und im richtigen Moment zustechen muss. Und genau das kann diese Kölner Mannschaft im laufenden Spieljahr ziemlich gut.