2025-02-06 19:38:00
Zum ersten Mal hörte Mandala Clavée im Januar 2024 von Görke. Da kamen innerhalb von zwei Wochen drei Jugendliche in ihre Ambulanz für Suchtprävention und Rehabilitation beim Caritasverband im Emsland. Alle machten sich Sorgen – weil sie etwas namens Görke geraucht hatten, und sich noch immer seltsam fühlten, richtig Angst hatten. Was war los mit ihnen? Waren sie abhängig? Mandala Clavée hatte keine Antwort: „Wir wussten überhaupt nicht, was das ist.“
Ein Jahr später weiß sie: Die illegale Droge ist unter Jugendlichen weit verbreitet. Nicht nur im Emsland, wo sie „Görke“ heißt – in anderen Regionen wird sie „Baller Liquid“ genannt. Die flüssige Substanz, die sich unauffällig mit E-Zigaretten rauchen lässt, ist lebensbedrohlich. Eine 16 Jahre alte Schülerin in Hatten bei Oldenburg wurde Ende Januar nach dem mutmaßlichen Konsum von Görke mit Herz-Kreislauf-Beschwerden in ein Krankenhaus gebracht, zeitweise war sie in Lebensgefahr.
Am gleichen Tag nahm die Oldenburger Polizei einen Neunzehnjährigen fest und durchsuchte seine Wohnung. Weil er gegen Bewährungsauflagen im Zusammenhang mit einem Rauschgiftdelikt verstoßen hatte, lag gegen ihn ohnehin ein Haftbefehl vor. In seiner Wohnung fanden die Beamten „eine größere Menge sogenannter ‚Liquids‘, die „vermutlich im Zusammenhang mit der Substanz ‚Görke‘ stehen“. Er wird verdächtigt, der Schülerin die Droge verkauft zu haben.
Mandala Clavée kann mit absoluter Gewissheit nur eins über Görke sagen: „Vom Konsum wird ganz dringend abgeraten.“ Die Droge sei eine Wundertüte, im negativen Sinn. Hauptbestandteil von Görke ist ADB-Binaca, ein synthetisches Cannabinoid, über das Fachleute noch nicht viel wissen. Die Zusammensetzung von Görke variiert, häufig wird ein Fruchtgeschmack beigemischt. Die Wirkung der Substanz ist bis zu 300 Mal stärker als Cannabis. Clavée sagt: „Wie wenn jemand, der vorher noch nie Alkohol getrunken hat, auf einmal 250 Milliliter Schnaps trinkt.“ Warum sie im Norden Görke heißt, lässt sich nicht zurückverfolgen.
Sie schmeckt und riecht nach nichts
Synthetische Cannabinoide kennen die Beratungsstellen und die Polizei schon seit Jahrzehnten, aber sie werden ständig weiterentwickelt. Die Substanzen werden etwa auf Cannabispflanzen gesprüht, um deren Wirkung zu verstärken. Oder Papier wird in die Flüssigkeiten eingelegt, getrocknet, in Haftanstalten geschmuggelt und dort geraucht. Auch die Jugendlichen rauchen Görke, allerdings über wiederbefüllbare E-Zigaretten. Auf der Straße an einer rosafarbenen Vape mit Erdbeer- oder Himbeergeschmack ziehen, ist nichts Ungewöhnliches – und wird von der Gesellschaft toleriert, auch wenn E-Zigaretten für Minderjährige verboten sind. Das macht die Droge noch unauffälliger, als sie ohnehin schon ist: Görke schmeckt nach nichts, riecht nach nichts, und man kann die Substanz nicht mit herkömmlichen Tests im Blut nachweisen.
Konsumenten berichten Clavée davon, dass sie sich mit der Droge „ausschalten“ könnten. Die Motorik verlangsamt sich, teils sind Konsumenten kreidebleich, sehen krank aus, haben kalte Schweißausbrüche. Gleichzeitig können starke Übelkeit, Schwindel, Erbrechen, verminderte geistige Leistungsfähigkeit, Herz-Kreislauf-Probleme, Halluzinationen und Angstzustände bis zur Psychose auftreten. „Das Gefühl der Panik bleibt eine Zeit lang“, sagt Clavée. „Deshalb kamen damals die ersten Betroffenen zu uns.“ Was die Jugendlichen auch erzählen: Das Verlangen nach mehr steige schnell, der Rausch dauere nicht lange an. Die Suchtgefahr ist groß.
Auf Wesensänderungen bei Jugendlichen achten
Die Emsländer Polizei warnte im vergangenen September nach einem Vorfall in ihrem Bezirk erstmals öffentlich vor Görke. „Die Leute wissen gar nicht, was genau sie da einnehmen“, sagt Sprecher Christopher Degner. Deshalb könnten die Jugendlichen die Wirkung auch nicht abschätzen. Jede sichergestellte Substanz werde untersucht, erst dann könne man mit Sicherheit von Görke sprechen. Im Fall der 16 Jahre alten Schülerin liegen noch keine Ergebnisse vor.
Laut Degner ist die Droge vergleichsweise leicht herzustellen, wird teils in den sozialen Medien zum Verkauf angeboten – und ist „leider zu günstig“. Zehn Milliliter kosten zehn bis 20 Euro, damit komme man mehrere Tage aus. Für ihre Ermittlungen sei die Polizei auf die Konsumenten angewiesen, ohne sie komme man nur schwer an die Vertreiber.
Clavée weiß von Fällen, in denen die Droge eine dauerhafte Verhaltensstörung ausgelöst hat. Görke gelte auch unter den Konsumenten als „Teufelszeug“. „Alle, die mit Kindern zu tun haben, müssen darüber informiert sein“, sagt Clavée. Eltern oder Lehrer sollten das Thema unbedingt ansprechen – und auf Wesensänderungen der Jugendlichen achten.