2025-02-11 11:38:00
In Waggon 9 sticht der Mann mittleren Alters hervor. Er fährt Bahn – und zwar in der reinsten Form. Kein Handy-Getippse, kein Buchgeraschel, kein Telefongequassel, nicht einmal ein Brötchenknabbern. Er sitzt einfach nur da. Im gesamten Abteil ist er der Einzige, der sich dem Luxus des Nichtstuns hingibt, völlig unbeeindruckt von der Unruhe im rollenden Konferenzraum.
Für die meisten um ihn herum ist das Bahnfahren nur die Kulisse ihrer Beschäftigungen. Zeit, so scheint es, muss um jeden Preis effizient genutzt werden. Einige feilen an Präsentationen, andere telefonieren, wieder andere schalten sich ins virtuelle Meeting. Wer sich dabei von schlechtem Netz und stockendem Internet nicht die Nerven rauben lässt, wird nicht allzu selten von überaus neugierigen Mitreisenden umgarnt, die es mindestens genauso sehr zu kümmern scheint, welche Mails da eigentlich ins Postfach flattern.
In der Videokonferenz zu Wort melden?
Dem schamlosen Schielen auf den Laptop des Sitznachbarn ist man fast hilflos ausgeliefert. Und wer für seine Teams-Konferenz pflichtbewusst die Kamera anschaltet, droht einen spitzen Kommentar seiner Kollegen zu kassieren, wie das denn nun datenschutzrechtlich zu vertreten sei, unterwegs könne ja schließlich jeder mitschauen. Wer sich dann noch traut, sich zu Wort zu melden, muss sich zügeln, keine allzu pikanten beruflichen Details auszuplaudern – wenn ihm das Netz nicht sowieso das Wort abhackt.
Aber zugegeben, wer hat sich nicht schon einmal selbst dabei ertappt, wie er Gesprächsfetzen von Mitreisenden aufgeschnappt hat und plötzlich mittendrin war in der Lästerei über den unbekannten Chef? Routinierte Pendler greifen da lieber zu Pseudonymen – nicht dass noch die Frau des Chefs in der Reihe hinter einem sitzt. In Teams-Meetings oder beim Antworten auf E-Mails ist das schwieriger. Da ist der „Schnüffel-Alarm“ der Mitreisenden programmiert.