2024-12-25 21:30:00
Wenn Mohamad Al Diab auf seinem Rad den Rheinweg entlangfährt, dann muss er nicht darauf achten, ob gerade Kampfhubschrauber mit ihren Bomben und Raketen über ihn hinwegziehen. Stattdessen genießt der junge Mann den Seitenblick auf die Weinberge zu seiner linken. Deren Hänge zieren mächtige Burgruinen, nicht etwa streng bewachte Militärbasen.
Kein Checkpoint unterbricht Al Diabs Fahrt bis nach Wiesbaden, kein Soldat, der von ihm Geld erpressen will, keine Rebellen, die nach seinem Leben trachten. Al Diab bleibt in Bewegung. Und diese tut ihm gut, wie er sagt. Sie sorgt für Klarheit im Kopf, sie steht für Freiheit. Es ist auch eine Freiheit, die für den 29 Jahre alten Syrer mit Assads Sturz mit einem Mal eine neue Bedeutung bekommen hat.
„Es gab kaum Spielplätze“
„Sport habe ich natürlich auch in meine Heimat damals als Jugendlicher schon gerne getrieben“, sagt er. „Fußball war für uns die wichtigste Sportart. Aber es gab kaum Spielplätze. Und nur wenige Schulen hatten überhaupt ein Fußballfeld, also spielten meine Freunde und ich draußen auf der Straße. Und ab 2011 konnte man auch das vergessen. Nirgendwo war man sicher.“ Der syrische Bürgerkrieg, dem mehr als 670.000 Menschen zum Opfer fielen und rund sieben Millionen in die Flucht trieb, hinterließ Al Diabs Heimat in Trümmern.
„Es gab dauernd Kämpfe mit den Fanatikern des IS, den Rebellen und den Soldaten der Regierung“, erinnert sich Al Diab. Besonders letztere hatten es von 2015 an auf den damaligen Studenten in wehrfähigem Alter abgesehen. Nur das Schutzgeld der Eltern an das Militär bewahrte Al Diab davor, zwangsrekrutiert zu werden. Als die Eltern nicht mehr zahlen konnten, entschloss sich der junge Mann zu einer waghalsigen Flucht und erreicht einige Monate später in Deutschland, wo er Asyl beantragte.
Sport als Instrument für die Integration
Auch wenn Al Diab nun in Sicherheit war und mittlerweile einen Duldungsstatus hat, wurden die Sorgen dadurch nicht geringer: „Ich fühlte mich hier alleine, ich habe die ganze Zeit an meine Familie gedacht“, sagt er. „Wann immer es möglich war, telefonierten wir zwar miteinander, aber wirklich frei reden konnten wir nicht. Man hatte immer Sorge, wer gerade mithören würde und uns beim Assad-Regime anschwärzen würde.“ Im Flüchtlingsheim bekam Al Diab mit, wie die Einsamkeit andere Bewohner in die Isolation und Drogensucht trieb. „Es war schwierig für meine Psyche damals. Ich litt unter Albträumen. Aber ich wollte nicht so enden, wie einige andere. Ich dachte mir, dass der Sport mir in der Situation helfen könnte.“
Über eine Anzeige fand Al Diab Kontakt zu Mainzer Studenten, mit denen er gemeinsam in der Umgebung wandern und Fahrradfahren konnte. Später engagierte er sich als Kinderbetreuer beim Fußballverein SV Wehen. Dass Sport ein wichtiges Instrument für die Integration ist, weiß man in Hessen schon seit langem und setzt auf Förderprogramme wie etwa „Sport integriert Hessen“. Dieses unterstützt Gemeinden bei der Gestaltung von Sportprogrammen für Geflüchtete. So können die Fördermittel etwa für Aufwandsentschädigungen für Trainer genutzt werden, die Sportangebote für Geflüchtete leiten.
Auch Al Diab, der mittlerweile als Sozialassistent in Wiesbaden arbeitet, möchte künftig geflüchteten Kindern mehr Sportangebote und damit mehr Freiräume ermöglichen. „Viele, die nach Deutschland kommen, sind traumatisiert“, sagt er. „Da kann ihnen Sport sicher helfen. In einigen Flüchtlingsheimen haben die Kinder oft wenig zu tun, bewegen sich kaum und sitzen einfach nur auf der Straße rum.“ Al Diab, der ein passionierter Schwimmer ist und derzeit eine Gruppe von 18 Kindern betreut, würde daher im kommenden Jahr gerne zusätzlich Schwimmtraining anbieten.
Ein Gefühl von Freiheit hat Al Diab auch gespürt, als er vor zwei Wochen wieder mit seiner Familie telefonierte – diesmal ohne Angst vor dem Assad-Regime, das es nun nicht mehr gab: ,,Das war für uns alle eine Überraschung“, sagt Al Diab. „An einem Tag, da waren wir machtlos gegen Assads Gewalt und von dessen Verbündeten, und dann plötzlich erwachten wir wie aus einem Alptraum, als er weg war.“ Folgt nun eine Zeit des Friedens?
Al Diab wünscht es sich und hat doch seine Zweifel daran. „Ich habe Angst, dass nun der nächste Diktator kommt, der von den Nachbarländern unterstützt wird, dass wir wieder keine Wahl und keine Demokratie haben werden in Syrien.“ Eine Rückkehr in die Heimat käme für ihn daher im Moment zumindest noch nicht in Frage.
„Ich tue mich schwer, alles aufzugeben, was ich hier in Deutschland erreicht habe“, sagt er. „Ich habe eine Arbeit, zahle Steuern, im Januar werde ich die Einbürgerung beantragen.“ Dann erzählt Al Diab, wie er manchmal mit seinem Fahrrad gerne an der Rheinpromenade anhält, dort verweilt und dann doch wieder an den fernen Euphrat denken muss, an dessen Ufern er als Kind einst unbeschwert gespielt hat.
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