Commémoration à Varsovie : une mission délicate

2024-08-01 07:40:00

Es ist genau 19:44 Uhr, als Frank-Walter Steinmeier am Mittwochabend in Warschau ans Mikrofon tritt. Das ist natürlich Zufall, denn die Gedenkveranstaltung am Vorabend des 80. Jahrestags des Warschauer Aufstands läuft da bereits seit zwei Stunden. Aber auch die waren schon voller Symbolik, mit einer Heiligen Messe, einem militärischen Zeremoniell und kämpferischen Liedern, da passt die Uhrzeit, die das Jahr des Aufstands abbildet, ohne weiteres hinein. Die Zahl 1944 leuchtet zudem groß und hell an einer Ziegelwand des Denkmals für die Aufständischen. Steinmeier wiederum steht direkt vor einem übergroßen, in Bronze gegossenen Kämpfer, der aus dem Untergrund steigt und einen deutschen Stahlhelm trägt, ausgerechnet. Die Armia Krajowa, die Heimatarmee, die 25.000 Kämpfer in Warschau rekrutiert hatte, war auf erbeutete Ausrüstung angewiesen, als sie am 1. August 1944 den entscheidenden Schritt gegen die Besatzer wagte und gegen das zu diesem Zeitpunkt seit fast fünf Jahren währende deutsche Terrorregime in ihrem Land aufbegehrte.

In der ersten Reihe vor Steinmeier sitzen Veteranen des Aufstands. Sie sind inzwischen alle über 90 Jahre alt, rund 400 seien noch am Leben, heißt es. Viele haben sich in Uniformen gekleidet, fast alle haben auch ihre rot-weißen Armbinden dabei, ihrem einstigen Erkennungszeichen. Das ist ihnen heilig, weshalb die Armbinden trotz großer Nachfrage auch nicht als Souvenir verkauft werden. Es sei alles andere als selbstverständlich, dass er hier heute sprechen dürfe, beginnt Steinmeier. „Mir ist es eine Ehre.“ Dafür gibt es unerwartet Beifall aus dem Publikum, das während der – auch wegen der Simultanübersetzung – gut 20 folgenden Minuten sehr genau zuhört. Steinmeier ist erst das zweite deutsche Staatsoberhaupt, das zum Gedenken nach Warschau eingeladen ist. Der erste war Roman Herzog, aber das ist schon 30 Jahre her. Steinmeiers Besuch ist jedoch auch heikel, und das liegt nicht nur an der Vergangenheit vor 80 Jahren. Vielen Polen ist auch die Putin-freundliche Politik in Erinnerung, die Steinmeier als deutscher Außenminister lange mitgetragen hat.

Auch deshalb sind die rund 2000 Menschen auf dem überfüllten Platz vor dem Denkmal, das jetzt die Abendsonne in goldenes Licht taucht, sehr aufmerksam. Und nicht alle werden am Ende zufrieden sein mit dem, was der Bundespräsident zu sagen hat. Konkretes, etwa Zusagen über finanzielle Hilfen für Überlebende, hat Steinmeier ohnehin nicht mitgebracht. Das war schon beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Polen vor einem Monat nicht anders. Aber Steinmeier weiß, wie wichtig in solchen Lagen Gesten sind. Und eine solche ist durchaus sein Treffen mit vier Veteranen des Aufstands am frühen Nachmittag auf dem Friedhof der Aufständischen im Stadtteil Wola.

Lire aussi  Le défenseur des Bruins de Boston, Hampus Lindholm, a joué avec un pied fracturé pendant les séries éliminatoires

Erschießen von 50 oder 100 Warschauern, jeden Tag

Es ist der Stadtteil, in dem die SS Anfang August 1944 grausam Rache für den Aufstand nahm und wahllos 40 000 Zivilisten ermordete. Jetzt sitzen zwei Frauen und zwei Männer, die damals dabei waren, mit Steinmeier an einem kleinen runden Tisch. Der jüngste ist Witold Lisowski, 91 Jahre alt, und ein zugewandter Mann, promovierter Historiker und ehemaliger Oberst, der mit Stolz seine Orden an der Brust trägt. Er erzählt, wie sein Vater gleich im September 1939 im Kampf gegen die Deutschen fiel und wie seine Familie dann wie viele Polen fünf Jahre „in schlimmster Sklaverei“ verbringen musste. „Wir wurden damals sehr schnell erwachsen und wollten kämpfen.“ Leszek Stanisław Zukowski, 95 Jahre alt und damals bereits Verbindungsoffizier, berichtet, wie überall in der Stadt „Bekanntmachungen“ hingen, auf denen die Deutschen den Einwohnern für kleinste Verstöße mit dem Erschießen von 50 oder 100 Warschauern drohten. „Und das gab es jeden Tag.“

Wanda Traczyk-Stawska, 97 Jahre alt, berichtet, wie sie nach der Besetzung der Hauptstadt im September 1939 aus dem Fenster ihrer Wohnung sah, weil ein Nachbarhaus einen Bombentreffer abbekommen hatte. „Unten sah ich eine Frau mit einem Baby auf dem Arm rennen. Ein deutscher Soldat schoss auf die Frau, ich sah das Baby in ihren Armen zerfallen.“ Sie könne ja verstehen, wenn Soldaten aufeinander schießen, sagt Traczyk-Stawska. „Aber warum auf Kinder? Nur weil es Polen waren?“ Steinmeier hört konzentriert zu, schaut ernst, knetet bisweilen seine Hände. Er kann nicht direkt antworten, sondern muss auf die Übersetzung warten. Und es dauert eine Weile, bis er den Veteranen auch direkt ins Gesicht schaut. Er dankt ihnen dafür, dass sie „trotz dieser Erlebnisse einen Weg der Annäherung zwischen Polen und Deutschen versuchen“. Er fragt nach ihren Gründen, sich der Heimatarmee anzuschließen, will wissen, was sie jüngeren Generationen mit auf den Weg geben.

Lire aussi  Coolio, rappeur de "Gangsta's Paradise", décède subitement à 59 ans

Woher die Grausamkeit kam

Sie frage sich bis heute, woher diese Grausamkeit kam, sagt Anna Przedpełska-Trzeciakowska, ebenfalls 97 Jahre alt. Sie trägt ihre damalige Rot-Kreuz-Binde am Arm und erzählt, wie 1939 ihre ganze Schulklasse in den Untergrund ging. „Die Deutschen erlaubten nur Unterricht bis zur 4. Klasse.“ Mehr als Rechnen bis 500 und ein bisschen Lesen sollten die künftigen Arbeitssklaven für das Deutsche Reich nicht lernen. „Es hört sich komisch an, aber im Untergrund haben wir weiter Deutsch gelernt, obwohl draußen die Deutschen mordeten“, erzählt sie. „Wir hatten einen wunderbaren Lehrer, der uns die deutsche Romantik und Heinrich Heine nähergebracht hat.“ Dieser Lehrer sei später sofort erschossen worden, nachdem man Schreibmaschinenklappern aus seiner Wohnung gehört und ihn auf die Straße geholt hatte. Auch ihr Bruder, 19 Jahre alt, habe nicht überlebt.

„Ich finde keine Antwort darauf, was man tun kann, damit Menschen so etwas nicht mehr tun“, sagt Przedpełska-Trzeciakowska und verweist auf die Ukraine. Sie habe Enkelkinder und inzwischen große Angst um sie. „Wir waren zu schwach, weil wir unseren Kindern keine angstfreie Zukunft bieten konnten.“ Der Krieg in der Ukraine bewegt auch die anderen drei, sind sie doch hier die einzigen im Raum, die aus eigenem Erleben wissen, was Krieg bedeutet. „Wir müssen Russland aufhalten“, sagt Wanda Traczyk-Stawska. Sie sieht Steinmeier jetzt direkt an. „Als alte Soldatin kann ich nur sagen: Wir müssen zusammenhalten.“ Auch Witold Lisowski, der seit vielen Jahre intensive Kontakte nach Deutschland pflegt, bittet Steinmeier inständig, die Ukraine nicht fallenzulassen. Wenn Putin mit seinem Plan durchkomme, „sind wir als Polen doch als nächstes dran“, sagt er. „Bitte tun Sie alles dafür, als Vertreter eines großen europäischen Landes, dass die Ukraine unterstützt wird.“

Wegen Warschau der Ukraine verpflichtet

Am Abend dann auf der Gedenkveranstaltung spricht Steinmeier dann auch über die Ukraine. „Der Krieg ist zurück in Europa, ein grausamer Angriffskrieg“, sagt der Bundespräsident. „Putin hat ihn zurückgebracht, er will die Ukraine zerstören, und er bedroht uns alle.“ Er appelliert an Polen und Deutsche, in der EU geschlossen und mit der Ukraine solidarisch zu bleiben. Es sei eine Verpflichtung aus dem Warschauer Aufstand, „Unrecht und Unfreiheit, Angriff und Besatzung in Europa niemals wieder“ hinzunehmen. Dafür gibt es abermals Applaus, wie auch schon vorher, als Steinmeier das polnische Volk um Vergebung bat. Das ist freilich eine Geste, aber eine für viele Polen enorm wichtige, die viele sogar ohne Übersetzung verstehen. Das legt zumindest der Beifall nahe, der einsetzt, noch bevor die Dolmetscherin Steinmeiers Worte übertragen hat.

Lire aussi  La facture de gaz augmente en août, de +2,3%. Dépense par famille type 1 472 euros par an

Der Bundespräsident erwähnt dann noch das in Berlin geplante Deutsch-Polnische Haus, das sowohl Erinnerungs- und Gedenkort als auch Begegnungsstätte für die deutsch-polnische Jugend werden soll. Doch das seit vielen Jahren angekündigte Projekt, auf das die Polen – Stichwort Geste – große Hoffnungen setzen, ist in einer sehr deutschen Mühle aus verkopfter Planung, (zu) vielen Beteiligten und Entscheidungsschwäche steckengeblieben. „Vieles ist auf gutem Weg“, sagt Steinmeier dennoch, aber an dieser Stelle sind nicht alle Polen auf Versöhnung gestimmt. „Reparacje! Reparacje!“ fordern einige im Publikum im Sprechchor am Ende seiner Rede.

Steinmeier geht auf das Thema Reparationen nicht ein. Als er von der Bühne tritt, schüttelt er Polens Präsident Andrzej Duda die Hand. Der hatte in seiner Rede sehr wohl die Passage von „unersetzlichen Verlusten, für die es nie eine Wiedergutmachung gegeben hat“ untergebracht. Duda hat Steinmeier zwar eingeladen, aber er steht der rechtkonservativen PiS nahe, die eine Feindschaft zu Deutschland pflegt und die, als sie noch Regierungspartei war, der Bundesrepublik 1,3 Billionen Euro für die im Zweiten Weltkrieg verursachten Schäden in Rechnung gestellt hatte.

Die neue Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk erwähnt die Summe nicht mehr, hat jedoch klargemacht, dass sie von Deutschland hier „kreative Lösungen“ erwartet. Eine solche, auch das hat Tusk bereits mehrfach betont, könnten Investitionen in die gemeinsame Sicherheit Europas vor einer russischen Aggression sein. Der Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski, der am Mittwoch zum Abschluss spricht, mahnt das unter Verweis auf die Ereignisse vor 80 Jahren in seiner Stadt auch an. „Der Warschauer Aufstand war eine Erhebung im Namen der Freiheit“, sagt er. „Nur wenn wir gemeinsam stark und verantwortungsvoll handeln in Europa, können wir sie erhalten.“



#Commémoration #Varsovie #une #mission #délicate
1722487518

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest

Leave a Comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.