2024-09-23 20:21:41
Es ging ausgelassen zu, als die AfD am Sonntagabend in einem Gartenlokal in Potsdam ihren zweiten Platz bei der Landtagswahl in Brandenburg feierte. Schon kurz nach sechs, als die errungenen knapp dreißig Prozent gerade verkündet waren, erreichte die Fröhlichkeit ihren Höhepunkt. Jemand legte da ein Lied auf, einen harmlosen Partysong eigentlich, aber mit neuem Text: „Hey, das geht ab! Wir schieben sie alle ab!“ Videomitschnitte zeigen, wie unter den Gartenschirmen die Hüften wippten. Viele tanzten, unter ihnen auch Anna Leisten, die Landesvorsitzende der „Jungen Alternative“. Einer der Tänzer hielt ein Schild hoch: „Millionenfach abschieben.“
Die Bewertungen des Geschehens sind geteilt. Der Grünen-Politiker Volker Beck fand, der Song stachele zu Hass auf, und erstattete Anzeige wegen Volksverhetzung. Die Brandenburger Polizei teilte mit, sie werde den Sachverhalt prüfen. Tino Chrupalla, einer von zwei Bundesvorsitzenden der AfD, befand dagegen auf einer Pressekonferenz am Montag in Berlin, er sehe in der Gesangseinlage vom Sonntag „aktuell zumindest nichts Anstößiges“. Außerdem hätten die Feiernden, anders als von manchen behauptet, nicht „gegrölt“, sondern „gesungen“. Insgesamt habe „die Jugend“ in Brandenburg einen „tollen Wahlkampf“ hingelegt, und jetzt habe sie eben auch „das Recht, ausgelassen zu feiern.“
Überhaupt sieht die AfD sich spätestens seit dieser Landtagswahl endgültig als die Partei der Jugend. Sie hat bei jungen Leuten überdurchschnittlich abgeschnitten, und Chrupallas Mitvorsitzende Alice Weidel sagte am Montag deshalb, ihre Partei sei folglich „die Partei der Zukunft“. Bei Leuten unter 60 liege sie „konstant vor der SPD“, und vor allem Bürger zwischen 16 und 24 Jahren hätten „die AfD „überproportional stark gewählt“. Zahlen von Infratest Dimap zeigen, dass von den Wählern zwischen 16 und 24 Jahren 32 Prozent die AfD wählten und nur 19 Prozent die SPD. Alle anderen Parteien liegen noch weiter dahinter. Bei Wählern zwischen 30 und 59 Jahren erreicht die AfD sogar Stimmanteile von 33 und 34 Prozent, dort schneidet aber auch die SPD besser ab.
„Ein gesunder Widerstand“ der Jugend?
Chrupalla erklärte den starken Vorsprung der AfD bei jungen Wählern mit den Worten, die Jugend habe es eben satt, permanent durch „Ideologisierung an Schulen“ und in „den Medien“ gegängelt zu werden, und deshalb entstehe in ihr wie einst in der DDR „ein gesunder Widerstand“. Junge Leute müssten heute mit ansehen, wie ihre Eltern, die sich nach der Wende etwas aufgebaut hätten, jetzt in Existenznot gerieten, weil eine „wirtschaftsfeindliche Politik“ und ein „Wirtschaftskrieg gegen Russland“ alles gefährdeten, was sie erreicht hätten. Die Jugend sei „völlig verunsichert“. Sie suche nach „Identität“, und deshalb wähle sie AfD.
In dasselbe Horn stieß zwei Stunden später auch der Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg, Hans-Christoph Berndt, bei einer Pressekonferenz in Potsdam. Seine Partei sei die Partei der Jugend, während die SPD die der Rentner sei. In Sachen Abschiebe-Song auf der Wahlparty befand Berndt, der „wirkliche Skandal“ sei die tägliche Gewalt in Deutschland und nicht das Lied der AfD. Das Wahlergebnis nannte der Politiker „nahezu vollkommen“. Er betonte die Bedeutung der Sperrminorität, die seine Partei nun hat. Auf die AfD entfallen im neuen Landtag 30 von 88 Sitzen, also mehr als ein Drittel. So kann die Fraktion Entscheidungen blockieren, für die eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. Das gilt beispielsweise für Verfassungsänderungen oder auch für die Auflösung des Landtages, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Auch die Wahl neuer Richter am Landesverfassungsgericht ist künftig ohne Zustimmung der AfD nicht möglich.
Tatsächlich umwirbt die AfD die Jugend wie keine andere Partei. Das betrifft nicht nur ihre Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, allen voran Tiktok. Doch gerade dort konnte die AfD Themen setzen, oft nicht einmal in Verbindung mit der Partei. Junge Menschen, die immer wieder Videos sehen, in denen Gewalt durch Migranten als die größte Gefahr für Deutschland beschrieben wird, sind offener als andere, wenn ihnen ein Politiker begegnet, der dasselbe sagt. In Brandenburg trug zum Erfolg der AfD auch bei, dass sie mit guter Laune und Zuversicht auftrat.
Diese bezieht sich auf ein Deutschland, das ganz anders aussehen soll als das heutige. So wurde etwa der Politiker Maximilian Krah bei manchen Auftritten wie ein Popstar gefeiert: Er preist jugendlichen Nationalstolz, ein identitäres Verständnis von Heimat und eine neue Männlichkeit als rebellisches Abgrenzen vom bisherigen Mainstream und Quelle wachsenden Lebensglücks an. Bei einem Auftritt im brandenburgischen Oranienburg fasste er sein Programm zuletzt in die Formel „Links ist dumm und rechts ist geil“. Zu seinen Auftritten kommen junge Frauen in Miniröcken, junge Männer in Polohemden, holen sich Autogramme auf Unterarmen, sogar Motorradhelmen, machen Selfies, filmen sich mit ihm.
Skandalsongs und Auftritte wie von einem Rapper
Auch sonst setzt die AfD intensiv auf Jugendarbeit. Sie erweckt den Eindruck, ein offenes Ohr zu haben, während die anderen Parteien nur belehren wollten. So lud der Landtagsabgeordnete Dennis Hohloch im Wahlkampf zu einem Jugendabend ein, wo Jugendliche bei „Aperol, Bier und Bratwurst“ über die Dinge sprechen sollten, „über die ihr sonst nicht reden dürft“, etwa wegen ihrer „linken Lehrer“. Aus mehreren Brandenburger Gemeinden waren in den vergangenen Wochen die Berichte erschütterter Eltern oder Lehrer zu hören, die gegen Rechtsextremismus demonstrierten und feststellten, dass ihre Schüler oder gar die eigenen Kinder auf der anderen Seite, bei der Kundgebung der AfD, mitliefen.
Auch AfD-Politiker selbst berichteten stolz davon, wie ihnen Geschichten aus Schulen zugetragen worden seien: Wo etwa Kinder plötzlich entschieden, die Nationalhymne im Chor zu singen, oder Jugendliche AfD-Werbematerial verteilten, daraufhin von einem empörten Lehrer zum Direktor geschickt worden seien – und der habe die Aktion dann gelobt. Ob diese Berichte stimmen oder nicht, sie zeigen, wie sehr der AfD daran gelegen ist, die Jüngeren anzusprechen. Der Brandenburger Spitzenkandidat Berndt motivierte im Sommer bereits bei einer Podiumsdiskussion in Schnellroda seine Zuhörer mit der Einschätzung, bei jungen Menschen mache sich ein „massives Umdenken“ bemerkbar. Das sei überhaupt die stärkste Erfahrung, die man bei Bürgerdialogen gemacht habe. Zugleich verlören die Grünen junge Wähler.
Dass die AfD eine Popkultur von rechts unterstützt, inklusive Skandal-Songs und schillernden Auftritten wie denen von Maximilian Krah, die eher an einen Rapper als an einen Politiker erinnern – so fuhr er etwa mit röhrendem Jaguar vor und ließ sich mit Hostessen im Dirndl filmen, die Deutschlandflaggen schwenkten –, lässt sie Jugendlichen als unangepasste Partei erscheinen. Einerseits stärkt das diejenigen in der Partei, die einen besonders guten Draht zur Jugend haben. Andererseits weckt es aber auch Zweifel bei denen, die die AfD gern bundesweit als Volkspartei sähen. Die AfD könnte unter dem Einfluss der radikalen Parteijugend und ihrer Mitstreiter zu schrill werden, wenig anschlussfähig im Westen. Darüber dürfte die Partei in den nächsten Wochen noch debattieren.
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