2024-06-01 18:11:26
Mit Genugtuung verweist Russlands Präsident Wladimir Putin immer wieder darauf, wie gut die russische Wirtschaft trotz der westlichen Sanktionen dastehe. Tatsächlich machen die Zahlen einen guten Eindruck: Im ersten Quartal stieg die Wirtschaftsleistung um gut 5 Prozent. Doch birgt das Wachstumsmodell, das auf hohen Staatsausgaben an die Rüstungsbetriebe fußt, erhebliche Probleme, die sich auch an der Moskauer Börse abbilden.
Dort hat der in Rubel berechnete Moex-Index, der die 50 größten russischen Unternehmen abbildet, gerade einen Kursrutsch um 7 Prozent seit Mitte Mai hinter sich – nach einer kurzen Erholung ging der Ausverkauf in der abgelaufenen Woche weiter.
Ein Auslöser war die Bemerkung der Zentralbankführung, es sei nicht ausgeschlossen, dass der mit 16 Prozent ohnehin hohe Leitzins auf der kommenden Sitzung Anfang Juni noch einmal angehoben werden könne, um die steigende Inflation zu bremsen.
Der Arbeitskräftemangel treibt die Teuerung
Derzeit liegt sie auf rund 8 Prozent und ist damit weit entfernt von der Zielmarke 4 Prozent. Die Teuerung ist eine Folge des eklatanten Arbeitskräftemangels, der zum Teil demographische Gründe, vor allem aber mit dem Krieg zu tun hat: Hunderttausende Männer wurden an die Front geschickt oder sind aus Russland geflohen, auch für Arbeitsmigranten aus Zentralasien ist Russland wegen des Krieges unattraktiv geworden. Unternehmen müssen deshalb mit immer höheren Löhnen Personal anwerben und schaffen es trotzdem nicht, die immense Nachfrage zu bedienen – das treibt die Preise.
Für eine stabile Deflation müsse die Nachfrage langsamer wachsen, schreibt die Zentralbank in einem aktuellen Bericht, was aber Zeit brauche. Der hohe Leitzins lässt andere Anlageformen wie Sparkonten oder Anleihen attraktiver werden und zieht Investoren vom Aktienmarkt ab.
Wie volatil die Lage an der Moskauer Börse derzeit ist, zeigt sich auch daran, wie optimistisch Anleger noch Mitte Mai waren: Da hatte der Moex erstmals seit Russlands Überfall auf die Ukraine Ende Februar 2022 angesichts steigender Ölpreise wieder die Marke von 3500 Punkten überschritten.
Der Kursabsturz hatte Analysten zufolge auch damit zu tun, dass mehrere große Unternehmen, darunter der Nickelproduzent Nornickel und Russlands staatlicher Monopolist für den Export von Pipeline-Gas, Gazprom, die Dividendenzahlung für das vergangene Jahr ausgesetzt haben.
Der starke Rubel beschleunigt den Ausverkauf
Seitdem die russische Regierung vor knapp zwei Wochen eine entsprechende Anordnung für Gazprom veröffentlicht hat, haben die Aktien fast 18 Prozent an Wert verloren. 2023 hatte der Konzern wegen des beinahe vollständigen Wegfalls des europäischen Markts einen Verlust von umgerechnet knapp 7 Milliarden Dollar gemeldet. Negativ bewerteten Anleger außerdem, dass das Treffen zwischen Putin und Chinas Staatspräsident Xi Jinping in Peking Mitte Mai keine Einigung über den Bau einer zweiten Gaspipeline von Russland nach China gebracht hat.
Auch das unerwartete Erstarken des Rubels habe den Ausverkauf an der Moskauer Börse beschleunigt, schrieb der Analyst Michail Selzer von der russischen Investmentgesellschaft BKS in einem Kommentar. Hatte ein Dollar Mitte April noch 94 Rubel gekostet, waren es Ende Mai nur noch 88 Rubel.
Dies liegt vor allem an amerikanischen Sanktionsdrohungen gegen Banken, deretwegen der Import nach Russland im ersten Quartal deutlich zurückgegangen ist. Ein starker Rubel ist schlecht für Exporteure, die für ihre Einkünfte in Fremdwährung weniger Rubel bekommen. Das macht sich an deren Aktienkursen bemerkbar – und am Moex, in dem Rohstoffexporteure stark gewichtet sind. Viele Analysten gehen davon aus, dass der Abwärtstrend des Index bis auf Weiteres andauert.
Neben dem fallenden Ölpreis ist in dieser Woche ein weiterer Grund für Pessimismus hinzugekommen: Das Finanzministerium legte Pläne für Steuererhöhungen vor, die helfen sollen, die hohen Ausgaben für die Rüstung zu finanzieren. Laut den Analysten von BKS dürfte die Reform, die vom kommenden Jahr an gelten soll und die Einkommensteuer für Unternehmen von 20 auf 25 Prozent anhebt, Reingewinn und Dividenden um gut 6 Prozent verringern. Zu erwarten sei deshalb auch eine Korrektur des Aktienmarkts um 5 bis 7 Prozent.
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