2025-02-20 09:19:00
Als vor drei Jahren Putin die Ukraine überfiel, sah der freie Teil Europas sich erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mit einem Diktator konfrontiert, der nicht nur einen Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug gegen ein „Brudervolk“ führt, sondern einen Krieg gegen die europäische Friedensordnung. Damals dachten viele, schlimmer könne es nicht mehr kommen. Doch das war noch nicht der „worst case“. Der ist jetzt eingetreten: mit Trumps Abwendung von Europa, das sich nun selbst bis zum Äußersten anstrengen muss, um daraus keine Auslieferung an Russland werden zu lassen.
Trump sieht sich durch nichts gebunden
Trump glaubt nicht daran, dass er Verbündete braucht. Für ihn ist die Welt ein unregulierter Immobilienmarkt, auf dem, das verbindet ihn mit dem von ihm offenbar bewunderten Putin, nur das Recht des Stärkeren gilt. Die „regelbasierte Ordnung“ ist für Trump eine Erfindung der Schwachen, die angeblich Amerika ausnutzten, bis er auf der Bühne erschien, um es endlich wieder groß zu machen. Bei der Verfolgung dieser Mission, die nicht zuletzt der Maximierung seines persönlichen Ruhms dient, betrachtet Trump sich als über dem Gesetz stehend. Entsprechend fühlt er sich auch in der Außenpolitik nicht gebunden an frühere Definitionen des nationalen Interesses und an in Jahrzehnten aufgebaute Beziehungen zu Alliierten.
Was in seiner ersten Amtszeit noch für eine verschärfte Fortsetzung des Streits zwischen Amerikanern und Europäern über die Lastenteilung in der NATO gehalten werden konnte, entpuppt sich mehr und mehr als ein Schisma, das die Epoche der transatlantischen Verbundenheit beendet. Der Westen war nie eine völlig homogene Wertegemeinschaft, aber doch verbunden durch sehr ähnliche Vorstellungen zur anzustrebenden Ordnung in den Staaten wie auch zwischen ihnen. Trump teilt sie nicht. Unter ihm und dem Beifall seiner Anhänger ist Amerika in erschreckender Geschwindigkeit auf dem Weg in ein zumindest semiautoritäres System.
Der Trumpismus verachtet das liberale Europa
Versuche, die Gewaltenteilung auszuhebeln, Justiz und Medien gleichzuschalten (groteskerweise im Namen der Meinungsfreiheit), gab und gibt es auch diesseits des Atlantiks. Hier hängt aber noch die Mehrheit der Staaten wie auch ihrer Bürger den Werten und Prinzipien der pluralistischen Demokratie an, die die Amerikaner vor achtzig Jahren nach Deutschland brachten. Der Trumpismus aber hat, wie es die Vance-Rede unterstrich, für dieses Europa nur Hohn und Spott übrig, auch da ist Trump ein Bruder Putins im Geiste. Er sieht keinen Grund, die zu verteidigen, die er verachtet – und die ihm nicht schmeicheln wie die autoritären Herrscher, mit denen er sich besser versteht als mit Leuten, die von feministischer Außenpolitik reden.
Was bedeutet dieser Epochenbruch für Europa, für Deutschland? Das ist schon tausendmal festgestellt worden, ohne dass daraus die ebenfalls schon tausendmal genannten Konsequenzen entschieden genug gezogen worden wären. Wenn die Europäer sich Putins Willen nicht unterwerfen wollen – was etwa Orbán, aber auch AfD, BSW und Linkspartei für erträglich hielten –, muss Europa sehr schnell die sicherheitspolitische Integration vertiefen und zu einer Militärmacht werden, die den Kreml wenigstens halbwegs so gut vor Aggressionen gegen das europäische NATO-Gebiet abschreckt wie bisher die amerikanische Drohung, im Ernstfall einzugreifen.
Deutschland muss die Wehrpflicht reaktivieren
Dazu müssen die Europäer ihre Streitkräfte nicht nur mit neuer Waffentechnik aufrüsten, sondern auch massiv vergrößern. Deutschland muss dafür die Wehrpflicht reaktivieren, auch wenn das die Truppe nicht über Nacht verstärken wird. Putin aber rüstet sich schon längst für den nächsten Krieg. Berlin dagegen könnte derzeit nicht einmal eine größere Zahl von Soldaten für eine „Friedenstruppe“ in die Ukraine schicken. Panzer und Luftabwehr für sie könnten wohl nur aus dem 3D-Drucker kommen.
Mit konventioneller Aufrüstung wird es aber nicht getan sein. Seit Gründung der NATO ist es hauptsächlich die amerikanische Atomstreitmacht mit ihren zahlreichen Einsatzoptionen gewesen, die Moskau vor An- und Übergriffen auf die Verbündeten in Europa abschreckte. Die Glaubwürdigkeit der Drohung, zu Atomwaffen zu greifen, war immer schon mit Problemen behaftet. Aber noch niemand im Westen beschädigte sie so mit der Kettensäge wie Trump.
Wie soll das kompensiert werden? Das müssen sich alle europäischen Staaten fragen, die anders als Frankreich und Großbritannien nicht über Atomwaffen verfügen. Deren Arsenale genügen nur für die sogenannte Minimalabschreckung eines Atomangriffs auf sie selbst, bei Weitem aber nicht für die „erweiterte Abschreckung“, mit der Amerika seine atomwaffenlosen Verbündeten schützte, auch Deutschland.
Alle sind mit einem Aggressor konfrontiert, der einen konventionellen Eroberungskrieg führt und dabei nicht vor der Drohung mit Atomwaffeneinsätzen zurückschreckte. Damit hielt Putin den die Eskalation ins Nukleare fürchtenden Westen – am meisten Angst davor hatte Deutschland – davon ab, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie mit Russland aus einer Position der Stärke hätte verhandeln können, was das Ziel des Westens vor Trump war. Es ist nicht zu erwarten, dass Putin in Zukunft auf die Anwendung dieser Erfolgsmethode verzichtet, schon gar nicht, seit Trump ihm sogar wörtlich den Freibrief ausstellte, mit Europa tun zu können, was er wolle.
Europa braucht eine glaubwürdige nukleare Abschreckung
Will Europa diesem Schicksal entgehen und nicht erpressbar werden, braucht es eine glaubwürdige nukleare Abschreckung. Das mehrfache Angebot Macrons, darüber zu sprechen, welche Rolle die „Force de frappe“ dabei spielen könnte, griff Berlin nicht auf. Deutschland werde sich beim Atomschirm weiter auf Amerika verlassen können, sagte Bundeskanzler Scholz, wenn man ihn danach fragte.
In Berlin galt eben die Regel: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Daran hat sich jedoch weder Putin vor drei Jahren gehalten, noch tut Trump es jetzt. Den Amerikaner interessiert auch nicht, dass es auf den Russen wie eine Einladung zur Fortsetzung seiner Aggressionen wirken muss, wenn diese mit Landgewinn und Kooperationsangeboten auf Augenhöhe belohnt werden. Dass auch China, angeblich Trumps größte Sorge, Putins Beispiel folgen könnte, scheint Trump ebenfalls nicht zu kümmern.
Die neue deutsche Regierung aber wird mit Lichtgeschwindigkeit darauf reagieren müssen, dass Deutschland nicht nur wirtschaftlich in schweres Fahrwasser geraten ist, sondern sich auch in der schlimmsten sicherheitspolitischen Lage seit der Wiederbewaffnung befindet. Man kann nur hoffen, dass das den Parteien, vor allem aber den Bürgern klar ist. Die wenigsten Entscheidungen und Maßnahmen, die unabdingbar sind, um Deutschland ausreichend zu schützen, werden Freudenstürme hervorrufen. Doch die Zeit, in der Europa sich darauf verlassen konnte, dass der große Bruder und Weltpolizist eingreift, wenn die Bösen vor der Tür stehen, ist endgültig vorbei. Ja, es ist ein „neuer Sheriff in der Stadt“. Aber der ist kein Mann des Gesetzes mehr. Er macht auch Deals mit den Verbrechern. Familienbande kennt er nicht.