L’Auror Michal Hvorecký sur la répression en Slovaquie

2024-10-06 09:50:02

Herr Hvorecký, Ihre Kulturministerin Šimkovičová hat Sie wegen Verleumdung angezeigt. Darauf stehen in der Slowakei bis zu fünf Jahre Haftstrafe. Was ist passiert?

Ich habe sie als Neofaschistin bezeichnet. Es geht dabei um einen Text, den ich nach den letzten Parlamentswahlen im vergangenen Oktober für die slowakische Zeitung „Denník N“ schrieb. Darin kritisierte ich die Bildung der derzeitigen Regierungskoalition: Die Parteien Smer des Premierministers Robert Fico und Hlas des inzwischen zum Präsidenten gewählten Peter Pellegrini entschieden sich, mit der rechtsextremen SNS zusammenzuarbeiten. Ich schrieb, dass es in dieser nunmehr vierten Regierung von Fico erstmals in der Geschichte der slowakischen Republik zwei Neofaschisten gebe: Gemeint waren die beiden von der SNS nominierten Minister, Umweltminister Tomáš Taraba und Kulturministerin Šimkovičová. Die SNS ist nicht bloß eine ­nationalistische Partei, sie vertritt eine völkische Ideologie, steht für Verschwörungsmythen und Verständnis für Putin.

Was geschah in der Slowakei seit dem Amtsantritt dieser Minister?

Wir erlebten in den vergangenen elf Monaten in diesen beiden Ressorts eine absolute Katastrophe. Ebenso wie in der Justiz. Premierminister Fico investiert seine ganze Energie in eine Justizreform, die der Freilassung strafrechtlich verurteilter Sponsoren und Oligarchen, die seiner Partei nahestehen, dient. Auch der wegen Korruption zu acht Jahren Haft verurteilte frühere Sonderstaatsanwalt Dušan Kováčik wurde auf Anordnung des Justizministers nach nur zwei Jahren freigelassen. Wegen dieser Entwicklungen wird in der Slowakei schon seit dem Winter ständig gegen die Regierung protestiert. Umweltminister Taraba ist ein Klimawandelleugner und Lobbyist der Fossil- und Holzindustrie. Šimkovičová ist eine bekannte rechte Influencerin, die jahrelang den Online-Desinformationskanal „TV Slovan“ betrieb.

Welche Art von Desinformation verbreitet sie?

Sie vertritt radikalnationalistische Positionen und Verschwörungsmythen wie den vom Großen Austausch. Auch glaubt sie, LGBT-Personen verursachten das Aussterben der „weißen Rasse“. Sie findet, die slowakische Kultur müsse „slowakisch sein – und keine andere“ und propagiert eine Rückkehr zu vermeint­lichen slawischen Urzuständen, die es so aber nie gab. Lange stand die Slowakei fest zur Ukraine und zur EU. Doch das ändert sich. Die putinfreundliche Šimkovičová ist ein Einfallstor für die Kremlpropaganda in Europa. Dabei hat sie keine Vision. Seit ihrem Amtsantritt hat sie vor allem die Direktoren wichtiger Kulturinstitutionen entlassen: zuerst die der Kunsthalle Bratislava, danach des Kinderkulturzentrums Bibiana, der slowakischen Nationalbibliothek, und es folgten noch die des Nationaltheaters und der Nationalgalerie. In dieser Woche erst wurde dann auch der Generaldirektor des Slowakischen Nationalmuseums, Branislav Panis, von der Kulturministerin ohne Nennung von Gründen gefeuert. Dabei besucht sie kaum je Kulturinstitutionen, sie spricht auch nicht mit Kulturschaffenden, sondern beruft skurrile Leitungspersonen. Der nun geschäftsführende Chef der Nationalgalerie, Anton Bittner, ist ein Finanzmanager, der sich für Esoterik begeistert. Er gibt zu, gar keine Ahnung von Kunst zu haben. Jetzt soll er den freigewordenen Posten beim Nationalmuseum übernehmen.

Versteht die Kulturministerin selbst denn etwas von Kunst?

Sie hat versucht, ein Bild von Andrej Dúbravský, eines der wichtigsten slowakischen Gegenwartskünstlers, eines internationalen Stars, in einer Ausstellung abzuhängen. Es gefiel ihr nicht, weil darauf zwei nackte Männer dargestellt waren. Das fand sie pervers und schädlich. De facto wird das Ministerium allerdings vom Generalsekretär Lukáš Machala geleitet, einem antisemitischen Hetzer und Verschwörungstheoretiker, der behauptet, die Erde wäre flach.

Auf Initiative des Kulturministeriums hat die Regierung am 1. Juli den öffentlich-rechtlichen Sender RTVS aufgelöst und in den Staatssender STVR umgewandelt. Der Generalsekretär des Kulturministeriums glaubt, Illuminaten nutzten den Islam, um unsere Zivilisation zu zerstören, was seiner Ansicht nach der russische Präsident Putin herausgefunden hat. Und die Amerikaner hätten den Kiewer Maidan angezettelt und in der Ukraine eine „zionistische Marionettenregierung“ installiert. Wie reagiert die slowakische Bevölkerung auf ein solches Kulturministerium?

Die Kultur ist zu einem großen gesellschaftlichen Thema in der Slowakei geworden. Im August gab es zwei große Demonstrationen in Bratislava. Die erste von der Initiative „Otvorená Kultúra“ (Offene Kultur) habe ich moderiert. Wir hatten tausend Menschen erwartet, es kamen aber neuntausend. Am nächsten Tag gab es eine Demonstration der Oppositionspartei PS mit fast 20.000 Teilnehmern. Kultur war auch hier ein Hauptthema. Unsere Petition, die im August den Rücktritt der Kulturministerin gefordert hat, erhielt innerhalb kürzester Zeit 187.000 Unterschriften.

Am 19. September hat die Initiative Offene Kultur einen Kulturstreik im ganzen Land ausgerufen. Was bedeutet das?

In vierzehn Städten gab es im September Proteste, Tausende Menschen streikten, Dutzende kulturelle Institutionen. Der Warnstreik bedeutet, dass es vor jeder Theatervorstellung, jeder Vernissage und jeder Opernaufführung kurze Ansprachen gibt, die das Publikum über die Ereignisse im Kulturleben informieren. Unsere wichtigsten Forderungen sind der Rücktritt von Šimkovičová und Machala, transparente und gerechte Bewerbungsprozesse in allen Kulturinstitutionen und ein Ende der Zensur in den staatlich geleiteten, ehemals öffentlich-rechtlichen Medien.

Hat die Strafanzeige der Kulturministerin Sie überrascht?

In einer Sendung sagten Šimkovičová und Machala, sie würden rechtliche Schritte gegen Komiker und Kritiker einleiten, die sie mit Faschisten gleichsetzten. Die Ministerin nannte auch meinen Namen. Daher habe ich damit gerechnet. Sie sagt, ich hätte meine Behauptungen über sie erfunden. Daraufhin drehte ich ein Video, worin ich erkläre, warum ich sie für eine Neofaschistin halte, und das mit ihren Zitaten belege. Es wurde fast eine Million Mal aufgerufen. Das hat sie wohl im Vorhaben, mich anzuzeigen, bestärkt.

Ist die Solidarität in der slowakischen Kulturszene größer als die Angst?

Ich war gerade auf einer Lesereise im Osten der Slowakei, da ist die Lage anders als im Westen. In dortigen Theatern und Bi­bliotheken, in den kleineren Gemeinden spürt man die Angst, da will man nicht beim Kulturstreik mitmachen. Wenngleich es dort auch sehr aktive Künstler gibt. Allerdings hat mich die große Solidarität, die ich infolge der Anzeige gegen mich erfuhr, sehr gefreut. ­Einige Prominente, vor allem Schauspieler, unterzeichneten eine Petition, worin es heißt, wenn Šimkovičová ihre Anzeige nicht zurückziehe, wollten sie auch angezeigt werden, weil sie genauso über sie denken wie ich.

Im Mai wurde Robert Fico bei einem Attentatsversuch schwer verletzt, inzwischen ist er zu den Regierungsgeschäften zurückgekehrt. Hat er sich verändert?

Ich glaube, er kann nicht mehr regieren, er hat sich weiter radikalisiert und steht ex­trem rechts. Er begann Anfang der Neunzigerjahre als postkommunistischer Apparatschik: auf osteuropäische Art links, sozialdemokratisch und in der Arbeiterklasse verwurzelt. Heute arbeitet er mit völkischen Kräften zusammen. Putin und Orbán sind für ihn Vorbilder, weil sie sich so lange an der Macht halten können. Seit er 2018 nach dem Doppelmord an dem Investigativjournalisten Ján Ku­ciak und seiner Verlobten zurücktreten musste, träumte er von Rache und dem großen Comeback. Zahlreiche Krisen ermöglichten ihm das, während der Pandemie hat er massiv Corona-Leugner mobilisiert. Als Anführer von Wutbürgern ist er nicht zu stoppen. Ich erwarte einen heißen Herbst in der Slowakei, die Strafanzeige gegen mich bleibt sicher nicht die einzige.



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