2024-08-12 23:20:07
Wirtschaftsverbände und Familienunternehmen in Thüringen und Sachsen blicken sorgenvoll auf die Wahlen in den beiden Bundesländern am 1. September. Grund dafür sind die hohen Zustimmungswerte für die AfD und auch für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Wahlumfragen. „Je stärker wirtschaftsfeindliche Gruppen werden, desto unattraktiver wird Thüringen für Arbeits- und Fachkräfte“, mahnte Colette Boos-John, Landesvorsitzende der „Familienunternehmer“ in Thüringen, am Montag gegenüber der F.A.Z.
An diesem Dienstag startet ein Zusammenschluss von Thüringer Wirtschaftsverbänden, der Industrie- und Handelskammer Erfurt und verschiedener Unternehmen eine Plakataktion gegen Populismus und rechtsextreme Kräfte, um ein fremdenfeindliches Image Thüringens zu verhindern und den Zuzug und den Verbleib von Fachkräften zu sichern. Auf den Plakaten wird davor gewarnt, Investoren und Start-ups abzuschrecken. Eine vergleichbare Kampagne der Familienunternehmer läuft seit Mitte Juli in Sachsen. „Keine Reise ins Blaue. Sachsens Wirtschaft braucht Zuversicht“, heißt es in Anspielung auf die Parteifarbe der AfD auf Plakaten der Familienunternehmer an den Flughäfen in Leipzig und Dresden.
In Thüringen liegt die AfD in der Wählergunst auf Platz eins, in Sachsen auf Platz zwei hinter der CDU. Nach den entsprechenden Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen aus der vergangenen Woche kommt die in Teilen rechtsextremistische „Alternative für Deutschland“ jeweils auf 30 Prozent. Die Partei von Sahra Wagenknecht landet mit Zustimmungswerten von 19 Prozent in Thüringen und 11 Prozent in Sachsen auf Platz drei in den Wahlumfragen. Thüringen wird derzeit von einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung regiert mit Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) an der Spitze. In Sachsen führt Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) eine Koalition mit den Grünen und der SPD an.
„Etikettenschwindel“
Unter den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) belegt Sachsen im Vergleich des Bruttoinlandsprodukts den ersten Platz. Bundesweit steht der Freistaat nach Angaben der statistischen Ämter des Bundes und der Länder an achter Stelle. Thüringen belegt im Osten den zweitletzten Platz in der Rangfolge der Wirtschaftsleistung; bundesweit steht das Land an viertletzter Stelle. Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen zählt die Wirtschaftspolitik zu den wichtigsten Themen der Landtagswahl. Das haben repräsentative Umfragen des Markt- und Sozialforschungsinstituts Insa im Auftrag der Familienunternehmer in beiden Ländern ergeben.
Für 67 Prozent der befragten Sachsen und für 56 Prozent der Thüringer spielt die Wirtschaftspolitik eine „große bis sehr große Rolle“. 68 Prozent der sächsischen und 73 Prozent der thüringischen Wähler wünschen sich mehr und auch größere Unternehmen. „AfD und BSW werden mit ihren Programmen jedoch sicher keine Unternehmen zu uns holen – schon gar keine größeren“, prophezeit die Landesvorsitzende der Familienunternehmer in Thüringen, Boos-John.
Bis 2035 werde in dem Freistaat eine Viertelmillion Fach- und Arbeitskräfte fehlen. „Bei unserer alternden Gesellschaft ist das die größte Herausforderung für die Wirtschaft überhaupt. Ohne Arbeitskräfte und Auszubildende aus dem In- und Ausland, ohne geregelte Zuwanderung werden sich die bisher erzielten wirtschaftlichen Erfolge in Thüringen nicht fortsetzen lassen“, mahnte die Geschäftsführerin des Straßen-, Tief- und Hochbauunternehmens Bauer Bauunternehmen in Walschleben.
Die meisten befragten Wähler in Sachsen (31 Prozent) trauen der CDU die größte Wirtschaftskompetenz zu. Es folgt die AfD (21 Prozent), alle anderen Parteien erreichen bei dieser Frage einstellige Ergebnisse. Auch in Thüringen liegt die CDU in Sachen Wirtschaftskompetenz vorn (24 Prozent). Auf Platz zwei folgt mit 21 Prozent wiederum die AfD, auf Platz drei mit 11 Prozent das BSW. Große Sorgen bereitet den Familienunternehmern, dass knapp zwei Drittel der befragten Sachsen und Thüringer mit ihrer Wahlentscheidung die Ampelregierung von SPD, Grünen und FDP im Bund abstrafen wollen. So verständlich der Frust über die Ampel sei – bei den Landtagswahlen komme es darauf an, die Weichen für die Regierungen in Dresden und Erfurt richtig zu stellen, mahnten Boos-John und der Landesvorsitzende der Familienunternehmer in Sachsen, Christian Haase.
Auch ein starkes Ergebnis für das BSW bei den Landtagswahlen wäre eine Gefahr für den Mittelstand, warnt der Verband der Familienunternehmer. „Das BSW ist im Grunde eine wirtschaftspolitisch linke, ja fast sozialistische Partei – allerdings mit gesellschaftspolitisch pragmatisch bis konservativ klingenden Ansätzen“, lautet das Fazit von Präsidentin Marie-Christine Ostermann. Die Unternehmerin stützt sich dabei auf eine Analyse ihres Verbandes zu den Wahlprogrammen der Wagenknecht-Partei. Das Bekenntnis des BSW zu „wirtschaftlicher Vernunft“ und einem „starken Mittelstand“ sei in Wahrheit „Etikettenschwindel“. Familienunternehmer und Mittelstand brauchten für wirtschaftlichen Fortschritt und damit für ihre Mitarbeiter insbesondere wirtschaftliche Freiheit und Eigentum. Beides greife das BSW „massiv an“. Idealbild seien nach dessen Programmen Kleingewerbe und Genossenschaften, „ansonsten gerne staatliche Unternehmen“. Auch wolle das BSW die Schuldenbremse schleifen, um mit massiven Subventionen die Wirtschaft zu steuern.
Die sächsische BSW-Spitzenkandidatin und Landesvorsitzende, Sabine Zimmermann wies die Kritik zurück. Ihre Partei setze sich für viele Punkte ein, die auch die Familienunternehmer forderten, etwa die Integration ausländischer Fachkräfte und den Abbau von Bürokratie. Indem der sächsische Landesvorsitzende der Familienunternehmer Haase dazu aufrufe, nicht das BSW zu wählen, habe er ein Eigentor geschossen und handle gegen die Interessen der Familienunternehmen.
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