2024-09-24 17:11:10
Meistens sagt Zeinab nur: „Ich weiß es nicht.“ Auf die Frage, wo ihr ältester Sohn ist. Auf die Frage, wie es ihrem Mann geht, dem ein Bein abgerissen wurde und den sie zuletzt sah, als er in einem Krankenwagen weggebracht wurde. Sie hat ein Bild geschickt bekommen, das einen frisch amputierten Beinstumpf zeigt. Was die nächsten Tage bringen, kann sie schon gar nicht sagen.
Zeinab, Mitte vierzig, stammt aus dem Süden Libanons, der am Montag von einer israelischen Luftangriffswelle getroffen wurde, wie sie das Land noch nicht erlebt hat. Zeinab kommt aus dem schiitischen Dorf Kfar Rouman nahe der Grenze. Um die Mittagszeit begann das Bombardement. „Es war überall“, sagt sie. Da sei ihr Mann verletzt worden, einer ihrer Söhne zurückgeblieben. Zeinab sagt, sie habe ihn in dem Chaos verloren.
Sie floh mit ihrer jüngsten Tochter und ihrem jüngeren Sohn nach Nabatieh, eine Stadt weiter im Norden. Aber auch dort schlugen wenig später Bomben ein. Also fuhren sie weiter nach Norden in Richtung Beirut. Ein Freund, der gerade im Ausland ist, stellte ihr seine Wohnung in Khalde zur Verfügung, einem Küstenort etwas im Süden der libanesischen Hauptstadt. Als Zeinab die Tür aufschloss, war es etwa sechs Uhr am Morgen. Achtzehn Stunden Horror hatte sie in den Knochen.
„Kein Wasser, kein Essen, rechts und links schlugen die Bomben ein“
„Drei Stunden steckten wir fest, nichts ging mehr voran. Wir hatten kein Wasser, kein Essen, und rechts und links schlugen die Bomben ein. Es war ein Albtraum“, sagt Zeinab. Sie wirkt müde, fahrig, ängstlich. Als am nahen internationalen Flughafen ein Passagierflugzeug aufsteigt, dreht sie den Kopf nervös in Richtung des offenen Fensters. Ihr jüngster Sohn, er sei dreizehn Jahre alt, sei völlig verängstigt, habe psychische Probleme.
Zeinab hat es dabei noch besser als andere. Sie hat eine eigene Bleibe. Abertausende sind aus den bombardierten Regionen in die Hauptstadt geflohen – auf der zerstörten Küstenstraße, die von der israelischen Luftangriffswelle ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde. In Beirut gab es Tumulte der Verzweiflung vor Hotels. Schulen wurden geräumt und zu Notunterkünften umgerüstet. Der Strom von Vertriebenen ist auch noch nicht gänzlich verebbt. Noch immer drängen sich am frühen Dienstag Nachmittag Autos auf der Schnellstraße aus dem Süden. Hizbullah-Mitglieder stehen am Rand und verteilen Wasser.
„Wir haben nichts mitgenommen“, sagt Zeinab. Sie habe weder Vorräte an Lebensmitteln noch Wasserreserven. Wie viele, die aus dem Süden kommen, gehört die Familie zu den ärmeren Schichten. „Mein Mann hatte keine feste Arbeit“, sagt sie. „Wir wussten schon vorher nicht, wovon wir leben sollten.“ Zeinab glaubt dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht, der versprochen hatte, nach der Militäroperation könnten die Leute wieder zurückkehren. „Sie haben Zivilisten bombardiert. Niemals waren diese Angriffe präzise.“
Dass die relative Ruhe, die am Dienstag zunächst herrschte, von längerer Dauer ist, davon geht tatsächlich niemand aus. Die Leute warten auf den nächsten Schlag. Schon ein Blick in den Beiruter Himmel kann das bestätigen – wenn hoch oben israelische Kampfflugzeuge weiße Kondensstreifen hinterlassen.
Am Nachmittag wird der Süden von Beirut, wo schon wieder gedämpfter Alltag eingezogen war, von einer neuen Explosion erschüttert: wieder ein israelischer Luftangriff. „Das war nicht weit von meinem Haus weg“, berichtet ein Einwohner der Gegend, die von der Hizbullah kontrolliert wird, wenig später am Telefon. Im Hintergrund heulen die Sirenen. „Das ist doch Wahnsinn“, sagt der Mann. „Es wird Zeit, dass ich hier wegkomme.“
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