L’interprétation d’Omri Boehm de la Bible et de la théologie politique

2024-10-05 16:03:25

Gibt es eine Brücke, die vom biblischen Gottesglauben zum Kantschen Moralgesetz führt? Folgen wir den unter der Überschrift „Den Sohn opfern?“ in der Osterausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlichten Überlegungen Gustav Seibts, dann ist es dem israelischen Philosophen Omri Boehm in seinem viel diskutierten, jüngst mit dem Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung ausgezeichneten Buch „Radikaler Universalismus“ mit seiner Deutung der biblischen Geschichte von Abraham und Isaak gelungen, eine solche zu schlagen. In dieser Geschichte verlangt Gott von Abraham nichts Geringeres, als ihm den eigenen Sohn Isaak als Brandopfer darzubieten. Am Ende ist Abraham dazu bereit. Doch in dem Moment, als er ansetzt, „seinen Sohn hinzumetzen“, wie es in der Buber-Rosenzweig-Übersetzung aus dem Hebräischen heißt, schreitet im letzten Moment ein Engel als gottgesandter Bote ein. Das Ganze stellt sich als Prüfung Gottes an Abrahams unbedingten Gottesglauben heraus.

Boehm macht nun plausibel, dass der Engel erst später in den Text eingefügt worden sein muss. Entfernt man aber die entsprechende Passage, nimmt die Erzählung einer ganz anderen Verlauf. Nun ist es Abraham selbst, der den Entschluss fasst, das Kind nicht zu opfern. Durch seine Weigerung, den Befehl Gottes auszuführen, so die Deutung ­Boehms, macht er deutlich, dass kein noch so hohes Wesen über dem universal gültigen und unbedingt zu folgendem Moralgesetz stehe. Legt man diese Interpretation zugrunde, hat die Botschaft des Textes sich in ihr Gegenteil verkehrt. „In der Version mit dem Engel“, resümiert Seibt, „befestigt die Geschichte den Bund Gottes mit dem Volk Israel, ohne den Engel steht der Begriff des Menschen unter dem absoluten Gesetz: Abraham als Vorläufer Kants.“

Jakob kannte Abrahams Geschichte

An dieser Stelle bringt Seibt seinerseits eine weitere Lesart der Geschichte ins Spiel: diejenige, die Thomas Mann in „Joseph und seine Brüder“ anbietet. In dem „Die Geschichten Jaakobs“ überschriebenen Teil des großen Romans vergegenwärtigt das Kapitel „Die Prüfung“ die biblische Geschichte noch einmal aus einer anderen Perspektive. Jaakob glaubt, zu einer Tat, wie sie Abraham von Gott abverlangt worden war, aus Liebe zu seinem Sohn Joseph nicht fähig zu sein. Als er ob seines vermeintlich mangelhaften Gehorsams zu hadern beginnt, befreit ihn der Sohn von der schweren Last vermeintlich ungenügender Gehorsamsbereitschaft. Schließlich, so hält er seinem Vater vor Augen, kenne er den Ausgang der Geschichte bereits und wisse daher, dass die Ausführung der grausamen Mordtat eben nicht in Gottes Sinne gewesen sei. In der geistigen Wiederaufführung der archaischen Szene, legt Joseph seinem Vater nahe, nehme dieser gar nicht die Position Abrahams ein, sondern diejenige Gottes.

In dieser Lesart stehen Gottes Wille und das Moralgesetz gar nicht so weit auseinander, wie es Boehms Deutung von der verweigerten Unterordnung impliziert. Beide Deutungen, so legt es Seibt in seinem berührenden mythengeschlichen Exkurs nahe, schließen sich keineswegs aus, sondern lassen sich zu einem heute noch tragfähigen Bild menschlicher Au­tonomie zusammenfügen, dessen Konturen tatsächlich schon in der biblischen Überlieferung erkennbar sind.

In seinem im vergangenen Jahr bei Matthes & Seitz veröffentlichten schmalen Buch „Als Adam grub und Eva spann“ hat der Aachener Historiker Rüdiger Haude gezeigt, wie die „Herrschaftsfeindschaft in der Hebräischen Bibel“ zum Gegenstand ei­ner ganzen Reihe von theologischen, bibel- und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen wurde. Alle „Herrschaft von Menschen über Menschen“, befand der am 19. Februar 2024 verstorbene Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann 2000 in seinem Buch „Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Ägypten, Israel und Europa“, stehe in der Hebräischen Bibel unter einem grundsätzlichen Vorbehalt, der sich in manchen Texten, beispielsweise der Jotamfabel, „zu Kritik, Ablehnung, ja Hohn und Spott steigern“ könne. Es gehe darum, „vom Prinzip Staat loszukommen und eine antistaatliche Gegengesellschaft zu grün­den“, schrieb Assmann drei Jahre später in „Die Mosaische Unterscheidung“.

Umbuchung politischer Bindungen auf Gott

Während es in der Vorstellungswelt der Staaten des Alten Orients ansonsten üblich war, dass das Volk sich einem König unterwarf, etablierte sich in Israel die Idee des unmittelbaren Bundes mit Gott, der als Befreier aus dem Sklavenhaus Ägypten beschrieben wird. Assmann bezeichnet diesen Vorgang als eine „Umbuchung politischer Bindungen auf Gott“ und ist damit ganz nahe bei der verbreiteten theologischen Auffassung, den „Gott“ der Israeliten im Gegensatz zu den anderen „Göttern“ seiner Zeit als einen „Gott“ der Befreiung zu begreifen.

In der Deutung, die der vor zwei Jahren verstorbene Theologe Ton Veerkamp dem Gottesbegriff gab, fällt dieser mit dem Gebot der Befreiung und der Errichtung einer gerechten Ordnung der Freien und Gleichen praktisch in eins. „Zu dienen hast du nur dem“, schrieb er in seinem bibelexegetischen Hauptwerk „Die Welt anders. Politische Geschichte der Großen Erzählung“ (Argument Verlag, 2012), „das dich aus dem Sklavenhaus wegführt. Das, und nur das, sei dein ‚Gott‘.“

Die Vorstellung, dass Menschen nicht über Menschen herrschen sollen, stand auch im Mittelpunkt des politischen Denkens des jüdischen Religionsphilosophen und gemeinschaftssozialistischen Zionisten Martin Buber. Die von ihm vertretene Auffassung von „Gott“ als einer moralisch-geistigen Mitte, an der sich eine Gemeinschaft ausrichten müsse, wenn sie denn gedeihen wolle, könnte mit Boehms „radikalen Universalismus“ durchaus vereinbar sein. In seinen überraschend pragmatischen und von einem hohen Maß an politischem Urteilsvermögen zeugenden Schriften zur jüdisch-arabischen Frage, die in dem 2018 bei Suhrkamp erschienenen Buch „Ein Land und zwei Völker“ zusammengestellt und sachkundig kommentiert sind, machte sich der bereits 1965 verstorbene Buber, ganz ähnlich wie heute Omri Boehm, für den Gedanken einer binationalen Föderation auf dem Boden Palästinas stark.



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