2024-11-25 19:18:00
Tief gefallen ist die österreichische Hauptstadt. Ende vergangener Woche wurde die Nachricht verbreitet, dass Wien den ersten Rang in einer internationalen Umfrage abgeben muss. Schon werden Überlegungen angestellt, wie man die Scharte wieder auswetzen könne. Es geht um die Einschätzung, welche Stadt der Welt am unfreundlichsten sei. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hat Wien seine diesbezügliche Meisterschaft auch noch an Deutschland verloren.
Von der Spitze der Tabelle grüßen jetzt Berlin und München. 53 Städte aus aller Welt nehmen an dem Wettstreit teil, der auf einer Umfrage der Publikation „Expat Insider“ beruht. Der Name gibt einen Hinweis, um welche Zielgruppe es geht. Expats sind Menschen, die „extra patriam“ leben, außerhalb ihres Vaterlands. Im angelsächsischen Sprachgebrauch sind damit weder Flüchtlinge gemeint noch Missionare, sondern gut bezahlte Angestellte von Firmen mit Auslandsaktivität.
Der Wiener Grant
Das ergibt einen speziellen Blickwinkel. So wird in der Umfrage moniert, dass man in Wien oft nicht mit Kreditkarte zahlen kann. Aber genannt wird eben auch „die Unfreundlichkeit mancher Einheimischer“. Damit dürfte eine Eigenheit gemeint sein, die offensiv gepflegt wird: der Wiener Grant. Er ist nicht nur sprichwörtlich verewigt, sondern auch literarisch. Zum Beispiel in der von Friedrich Torberg erzählten Geschichte vom Kaffeehauswirt, der nach einem Streit über die richtige Bezeichnung einer Obstzubereitung den Kunden beim Schlafittchen packt, mit den Worten „zahlen brauchen’s net, Sie san mein Gast“ zur Tür herauswirft und sich dann an die sich ängstlich duckenden übrigen Personen im Gastraum wendet: „Es gibt noch welche, die sagen, Zwetschgenröster ist kein Kompott. Aber ich kenne sie alle!“
Eine Website für Neu-Wiener zählt 15 Situationen auf, wo und wie man den Grant erleben könne: etwa wenn man auf Radwegen läuft, wenn man auf der falschen Seite der Rolltreppe steht oder wenn man Ketchup zum Schnitzel bestellt. Keineswegs verschämt geht man in der einstigen kaiserlich-königlichen Haupt- und Residenzstadt mit diesem Ruf um. Eine Spirituose wird beherzt als „Wiener Grant“ vermarktet. Die Rathauskorrespondenz, also der Pressedienst der Stadt, bezeichnet ihn als „mehr als nur ein Klischee – er ist ein historisch gewachsenes Phänomen, das tief in der Kultur Wiens verwurzelt ist“, als „Mix aus Melancholie, Sarkasmus und pessimistischer Weltsicht“, der sich auch in der Kunst wiederfinde.
Und dieses Mehr-als-Klischee soll man nun an die tiefste Piefkei abtreten müssen? Niemals! „Wien muss wieder schimpfen lernen“, fordert die Wiener „Presse“. Das ist mindestens so ernst gemeint wie neulich die Forderung im „Standard“, gemeinsam mit dem Würstelstand auch den Grant zum Weltkulturerbe zu erheben. Aber wie passt das alles zu jener anderen Umfrage („The Economist“), wonach Wien die lebenswerteste Stadt der Welt sei? Zur Erklärung sei nochmals in die Literatur gegriffen, zum Liedgut von Georg Kreisler: „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“.
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