2024-12-15 10:15:00
Nach Hans Blumenberg ist „Weltanschauung“ anfällig „für intellektuelle Hochstapelei“. Seit der Doppelbegriff in Kants „Kritik der Urteilskraft“ auftauchte, habe er eine „durch Vieldeutigkeit begünstigte Karriere“ durchlaufen, die mehr einem „Begriffsschicksal“ als einer „Begriffsgeschichte“ gleiche. Blumenberg dürfte wohl daran gedacht haben, wie „Weltanschauung“ um 1900 zum Allerweltsbegriff wurde, der außerhalb der Philosophie unter so zweifelhaften Autoren wie Houston Stewart Chamberlain, Rudolf Steiner und Adolf Hitler zirkulierte. An sie erinnerte Peter Trawny, als er an der Universität Wien über „Weltanschauung bei Heidegger: Zum Verhältnis von Philosophie und Nationalsozialismus“ sprach.
Trawny wandte sich dagegen, die Geschichte von „Weltanschauung“ in rassistischen, esoterischen oder ideologischen Kontexten zu ignorieren und von jener in der Philosophie abzusondern. Heideggers Aufnahme des Begriffs nahm er als Beispiel dafür, wie sich „emphatisch verstandene Philosophie in weltanschauliche Kontexte verstricken muss, wenn sie ihren Weltbezug aufrecht erhalten will“. Trawny zeichnete dabei den Weg einer Annäherung und Entfernung Heideggers an den Begriff „Weltanschauung“ nach, der das „Vehikel“ sei, über den er in den Nationalsozialismus „hinein-, aber auch wieder hinausfährt“. 1933 verstand Heidegger demnach unter Philosophie ausdrücklich die Ausarbeitung einer „Weltanschauung“. Schon wenige Jahre später sei in den „Schwarzen Heften“ jedoch zu beobachten, wie er beginne, „Weltanschauung“ als etwas zu sehen, dem immer schon ein „Keim der Entartung“ innewohne – bis er den Begriff 1938 in der berühmten Passage über die „Eroberung der Welt als Bild“ im Vortrag „Die Zeit des Weltbildes“ schließlich „zertrümmert“ habe.
Sidonie Kellerer machte die Archivprobe
Sidonie Kellerer hat 2011 in der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ Zweifel an so einer Darstellung begründet. Aufgrund von Vergleichen der Manuskripte im Deutschen Literaturarchiv Marbach mit dem Erstdruck 1950 machte sie plausibel, dass der Philosoph in „Die Zeit des Weltbildes“ noch ganz auf dem Boden der Rektoratsrede gestanden habe. Der Vortrag sei nicht eine Kritik, sondern eine affirmative Beschreibung der deutschen Situation von 1938, die in einer „unüberhörbar werdenden Beschwörung der Tat und des Kampfes“ kulminiere.
Trawny zeigte sich von dieser Lesart nicht überzeugt. Andere Manuskripte zeigten, dass sich Heidegger zu dieser Zeit vom Nationalsozialismus weitgehend gelöst habe, darunter jene Analysen von Macht und Gewalt aus „Die Geschichte des Seyns“, die der Philosoph seiner Schülerin Hannah Arendt bei ihrer ersten Begegnung nach dem Krieg überreichte. Zudem stellten manche Heidegger-Lektüren zu wenig den hyperbolischen Charakter bestimmter Formulierungen in Rechnung. Eine Erstarrung in Lehrsätzen sei dem Denken Heideggers fremd, der zeitlebens bestritten habe, eine Philosophie zu haben.
Obwohl Trawny zugestand, dass Heidegger die Freiheit des Denkens durch sein skandalöses Votum für den Nationalsozialismus verraten habe, zeigte er sich skeptisch gegenüber einem „moralisierenden“ Blick auf dessen Werk. Der Philosophie sei heute die Perspektive einer Gesamtkulturkritik und radikalen Infragestellung der modernen Gesellschaft fremd, für die nicht nur Heideggers Aufnahme von „Weltanschauung“ stehe, sondern etwa auch Theodor W. Adornos Nachdenken über die Welt nach Auschwitz oder Arendts Totalitarismusanalyse. Da die Philosophie solche Betrachtungen heute eher der gegenwartsdiagnostischen Soziologie überlasse, drohe sie zu einer irrelevanten Fachexpertise mit leerem populärem Ableger zu werden.
So sehr man Trawny darin zustimmen möchte, dass die Philosophie heute zu wenig die Selbstverständigung über die eigene Zeit wagt – es wäre pervers, machte man die Möglichkeit von Philosophie oder von Kritik in emphatischem Sinne davon abhängig, ob man auch einem Denken historisch-situierendes Verständnis entgegenbringt, das sich in folgerichtiger innerer Denkbewegung nationalsozialistisch fanatisieren konnte. An einem Philosophieverständnis, das Bedürfnisse nach weltanschaulicher Besinnung nicht vorschnell abweist, muss man festhalten können, ohne zugleich einem Denker wie irgendeinem anderen als Kind seiner Zeit die Absolution zu erteilen, der Jahre vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler Faszination für dessen Person fasste, bald Anschluss an die „Bewegung“ suchte und später nie den Mut zu einem unzweideutigen Wort der Richtigstellung fand.
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