2024-07-26 14:06:42
Immer wieder hat die Entwicklung der Kommunikationstechnik zu Umwälzungen geführt: Die Schrift ermöglichte, über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg zu kommunizieren. Buchdruck und elektronische Massenmedien stellten größere und vor allem schnellere Erreichbarkeit her. Die Vorteile liegen auf der Hand, doch für bestehende Institutionen und Praktiken ergeben sich auch Folgeprobleme. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel fragt der Anthropologe Nelson Graburn, wie sich der Tourismus unter dem Eindruck der neueren Kommunikationstechnologien verändert.
Zur Tourismusforschung hat Graburn bereits vor einiger Zeit die These beigesteuert, beim Tourismus handele es sich um ein säkulares Ritual. Die touristische Reise bedeute nicht nur eine Suspendierung des Alltags, sondern auch eine symbolische Überhöhung eines Zeitraums: Gegenüber dem „profanen“ Alltag markiere die Ferienzeit eine besondere, „sakralisierte“ Episode, in der die üblichen Zwänge und Routinen außer Kraft gesetzt sind. Diese Zeit werde als besonders intensiv erlebt, weil sie mit vielen Entscheidungen verbunden sei, die als selbst gewählt erlebt werden, und daher Raum für die Entfaltung der Persönlichkeit biete.
Ferien daheim wären vielleicht erholsamer, bleiben aber profan
Wenn wir verreisen, so Graburn, investieren wir beträchtliche finanzielle Mittel für die Suche nach dem „heiligen Gral“, der in der modernen Gesellschaft nicht mehr als sakraler Gegenstand vorgestellt wird, sondern als Realisierung „heiliger“ Werte wie Selbstentfaltung, Gesundheit und Freiheit. Der Erfolg besteht nicht in materiellem Gewinn. Auch Souvenirs sind nur Symbole für jene außeralltäglichen Erlebnisse, die eine Urlaubsreise ausmachen.
Die Unterbrechung des Alltags funktioniert am verlässlichsten, wenn sie von einem Ortswechsel unterstützt wird. Der Urlaub zu Hause steht schon deshalb unter einem schlechten Stern, weil er die rituellen Merkmale des Aufbruchs und der Rückkehr vermissen lässt. Wer lediglich plant, zwei Wochen auf dem eigenen Balkon zu verbringen, muss sich nicht vergewissern, dass der Herd ausgeschaltet und der Reisepass an seinem Platz ist. Auch für die Rückkehr in den Alltag ist kein Kofferpacken nötig und kein Grenzübertritt, sondern lediglich der Gang zum Briefkasten, in dem die Rechnungen warten. Fern der Heimat hingegen ist der Alltag weit entfernt, und der Wechsel fällt aufgrund der mehr oder weniger langen Phasen des Übergangs weniger abrupt aus.
Wer ist denn heute noch wirklich weg?
Die physische Abwesenheit ist auch deshalb bedeutsam, weil die sozialen Beziehungen und damit die Verbindung zum Alltag niemals komplett gekappt werden. Solange eine Reise noch bedeutete, nicht oder nur stark verzögert erreichbar zu sein, sorgten ritualisierte Erwartungen dafür, dass die bestehenden sozialen Beziehungen nicht vergessen wurden. In Japan zum Beispiel war es üblich, auch für abwesende Familienmitglieder ein Essen zuzubereiten. Diese wurden vor der Reise durch kleine Geschenke ermuntert, stets an ihre Angehörigen und Freunde zu denken: Erwartet wurde, dass man sich auf der Reise um geeignete Mitbringsel als Gegenleistung bemühte.
Neue Kommunikationstechnologien schufen weitere Wege, auf denen sich der Alltag in die Reisezeit einschleichen konnte: Zunächst wurde es selbstverständlich, sich per Brief oder Postkarte aus der Ferne zurückzumelden; später wurden – mit steigender Frequenz – Anrufe oder elektronische Nachrichten erwartet, um den Kontakt aufrechtzuerhalten. Internet und Smartphones haben diese Entwicklung inzwischen bis zu einem Punkt gesteigert, an dem niemand mehr wirklich weg ist, auch wenn er sich an einem weit entfernten Ort befindet. Umstellt vom ständigen Kontakt mit der Alltagswelt kann sich die touristische Episode kaum mehr als Gegenalltag profilieren.
In der Tat lässt sich beobachten, dass der Draht nach Hause die Touristen nicht nur von den Einheimischen, sondern zunehmend auch von anderen Touristen isoliert. Eine spontane Vergemeinschaftung auf Zeit, wie sie beispielsweise für den Rucksacktourismus lange typisch war, findet kaum noch statt.
Dennoch greift Graburns Diagnose, dass die Sonderwelt der Reise durch die Dauerkommunikation gefährdet ist, zu kurz. Sie beruht auf der Vorstellung, dass Reisende früher ganz in ihrer Rolle aufgingen. Doch Touristen waren niemals ausschließlich Touristen. Wer quengelnde Kinder bei Laune halten muss, hat – zumindest zeitweise – andere Sorgen und Interessen. Natürlich erweitert die Distanzkommunikation das Spektrum potentieller Ablenkungen und Zumutungen. Doch solange sie nicht zu dem Schluss verleitet, man könnte sich die Reise sparen und stattdessen im Internet surfen, ist der Tourismus noch nicht am Ende.
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