2024-07-26 09:54:17
Als Politiker in verantwortungsvoller Position würden Beobachter seine Art der Menschenführung wohl mit „ruhiger Hand“ beschreiben. Aber Christian Neidhart ist Fußballtrainer in heikler Mission im Dienste der Offenbacher Kickers. Heikel deshalb, weil die Elf des Traditionsklubs am Ende der Saison 23/24, Neidharts erstem Jahr mit den Kickers in der Regionalliga Südwest, nur Elfter wurde – noch hinter der U 23 der Frankfurter Eintracht, Barockstadt Fulda und dem FSV Frankfurt. Weit unter dem Anspruch der Kundschaft des OFC.
Ihre in zwölf zähen Jahren in der vierten Liga strapazierte Geduld ohne den immer aufs Neue erhofften Aufstieg ist endlich. Messbar an momentan rund 2400 verkauften Dauerkarten – vor Jahresfrist waren es zum gleichen Zeitpunkt über 3000. Die Quittung einer verkorksten Spielzeit, über die die Klubführung öffentlich am liebsten den Mantel des Schweigens breiten würde.
„Wir nehmen die Zurückhaltung zur Kenntnis“, sagt Neidhart. Auch bei den sechs Vorbereitungsspielen gegen Amateure in der Region, vor allem am vorigen Wochenende bei der Premiere des „Blitzturniers“ um den „Kickers-Pokal“; mit Fortuna Düsseldorf und dem 1. FC Kaiserslautern als Sparringspartner des OFC.
Neidhart erhoffte sich sieben Tage vor dem Punktspielstart an diesem Samstag (14.00 Uhr) bei der U 23 des SC Freiburg eine „gelungene Generalprobe“ gegen gestandene Zweitligaklubs und bekam sie sogar: Nach jeweils zwei mal 30 Minuten endete der Test 1:0 gegen die Fortuna und 1:3 gegen die Pfälzer. Auf den Rängen ließ ihr Anhang per Stadion-Liedgut wissen, wer unter den 2300 Zuschauern auf dem Bieberer Berg den Ton angab: „Ohne Lautern wär’ hier gar nichts los.“ Gähnende Leere dort, wo sonst die aktive Kickers-Szene ihren Stammplatz hat.
17 Profis aus der Vorsaison sind nicht mehr dabei
Dabei kommt die Beschreibung des sich über Jahrzehnte hartnäckig haltenden Supports von diesen zentralen Stehplätzen des Stadions auf vier Seiten der druckfrischen Juli-Ausgabe von „11 Freunde“, dem „Magazin für Fußballkultur“, einer Eloge gleich. Aber für alle Hardcore-Fans gilt vereinsübergreifend: Sommerturniere sind nicht ihr Ding.
Was zählt, ist am Samstag der Start in eine nächste Saison auf Bewährung. 17 des bis zu 32 Profis aufgeblähten Kaders des Vorjahres sind nicht mehr dabei. „Wir haben nun viel mehr Mentalität in die Mannschaft geholt“, betont Kickers-Präsident Joachim Wagner im Interview mit „Erwin“, dem „Unabhängigen OFC-Fanmagazin“, das sich trotz Bekenntnis zum Traditionsverein einen kritischen, unbestechlichen Ansatz bewahrt hat. „Die Vorbereitung“, so heißt es im Editorial „Abschlag“ der Erwin-Crew , „sorgte wieder mal für zarte emotionale Pflänzchen in der Kickersseele.“
Nach den frischen Eindrücken vom Wochenende gibt es tatsächlich gute Gründe, dem abgespeckten neuen Kader einiges zuzutrauen. Er ist verjüngt worden, unter den zehn Neuzugängen entstammen sechs dem OFC-Nachwuchs. Im „Blitzturnier“ waren 21 Spieler in unterschiedlichen Formationen im Einsatz, die phasenweise auf Augenhöhe mit den Zweitligavereinen agierten. Der neue Kader, anders als der vorherige, ist komplett von der jetzigen Führung mit Christian Hock, Geschäftsführer Sport, und Trainer Neidhart zusammengestellt worden.
Es gibt somit keine Ausreden mehr, sollte das Minimalziel verfehlt werden, „eine gute Rolle zu spielen, bis zum Ende der Saison oben dabei zu sein.“ Für Kickers-Verhältnisse eine dezente Kampfansage an die ebenfalls ambitionierte Konkurrenz. Neidhart zählt die zweiten Garnituren der Bundesligaklubs dazu, auch Homburg, Freiberg, Fulda und die Kickers aus Stuttgart.
So, wie sich die aktuell angesagten Akteure in den Härtetests gegen Düsseldorf und Kaiserslautern sowie eine Woche zuvor beim 1:3 gegen den 1. FC Köln aus der Affäre zogen, präsentiert sich das runderneuerte Ensemble als stabile Einheit. Der bislang auffälligste Neuzugang? Mittelfeldakteur Boubakar Barry, der einst mit Leroy Sané und Timo Werner zur U-19 -Nationalelf zählte und nun, neun Jahre später, nach Stationen in Karlsruhe und Walldorf einen Anlauf in neuer Umgebung nimmt.
Da wird abgeklatscht, da werden Fäuste geballt, Kompaktheit statt heillosem Durcheinander in den „Spielen des Grauens“, von denen es in der Vergangenheit inflationär zu viele gab. Der Tiefpunkt im vergangenen April und alles andere als ein Aprilscherz: Das 3:5 gegen den FC Homburg nach 3:0-Führung. „Die jetzige Mannschaft gibt ein ganz anderes Bild ab“, schwärmt Neidhart und gewinnt selbst Niederlagen ihre guten Seiten ab, „damit nicht alle im Umfeld nur nach oben gucken, die Bäume wachsen nicht in den Himmel“.
Das Wort Aufstieg wird geflissentlich vermieden. Dabei, soviel Realismus muss sein, sind die Kickers nur dann in der Lage, wirtschaftlich zu agieren, wenn der Weg in die zweite Liga führt. Zitat des Präsidenten: „Wir haben ein Zweitligastadion mit einer Kostenstruktur, die für einen Viertligisten kaum stemmbar ist. Wir haben Ordnerkosten wegen eines Sicherheitskonzepts hier, die höher sind als mancher Etat in der Regionalliga.“
Dabei hört sich der Zuschauerschnitt von knapp 6000 pro Partie auf dem Bieberer Berg an, als könne der Klub aus dem Vollen schöpfen – von wegen. Der Ticketverkauf deckt allenfalls 45 Prozent des Etats, da braucht es Geldquellen, um im Rennen um den Aufstiegsplatz am Ball zu bleiben. Eine stets neue Herausforderung für den Unternehmer Wagner mit altem Trainer und aufgefrischtem Kader.
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