2025-02-03 21:12:00
Der Angeklagte wusste das Ambiente zu schätzen. Der zwanzigste Verhandlungstag im sogenannten „Sommermärchen“-Prozess hatte Theo Zwanziger in das Gebäude A, Saal 146a geführt. Zum ersten Mal im Schwurgerichtssaal, frisch renoviert. Große Strafkammer, große Bühne. Der frühere Präsident des Deutschen Fußball-Bundes hatte angekündigt, sich einlassen zu wollen zum Sachverhalt, der ihm die Anklage wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall eingebracht hat. Zu den Millionenüberweisungen im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. „Vielen Dank, liebe Frau Vorsitzende“, wandte sich der Angeklagte Theo Zwanziger um kurz nach zehn am Montagmorgen an die Vorsitzende Richterin Eva Marie Distler, „es ist fast eine Ehre im neuen Sitzungssaal.“
Zwanziger und Distler, Distler und Zwanziger, das war zu Beginn des Prozesses im Frühjahr 2024 eine konfrontative Ko-Existenz. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Langsam dampft dieser Prozess nun durch tiefe See, langsam, aber stetig. Distler gibt den Kurs vor, Zwanziger hat sich damit arrangiert. Es geht um ein Turnier, das vor fast 19 Jahren stattfand, vor bald 25 Jahren vergeben wurde. Es geht um die Versteuerung von 6,7 Millionen Euro, es geht um ein Turnier, das von seinen Organisatoren als Lebenswerk betrachtet wird, es geht um Erinnerungen.
Es geht um den Deutschen Fußball-Bund und die FIFA, den Internationalen Fußball-Verband. Es geht um das „Sommermärchen“. Angesichts der Eloquenz von Theo Zwanziger waren alle in Schwurgerichtssaal 146a auf einen langen Tag eingestellt. Um Viertel nach zehn bat Zwanziger die Vorsitzende Richterin, ihm zu sagen, „wenn’s zu lang wird“. Distler ließ lange Leine.
Mehr als vier Stunden Redezeit
Zwanziger wird in diesem Jahr 80 Jahre alt. Am Montag sprach er über vier Stunden, im Wesentlichen von seinem Blick auf die Überweisung von 6,7 Millionen Euro, die aus dem WM-Organisationskomitee (OK) im April 2006 an die FIFA in Zürich flossen. Der Betrag landete dann, das sind die Grundkoordinaten des „Sommermärchen“-Skandals, beim Geschäftsmann Robert Louis-Dreyfus, der Jahre zuvor zehn Millionen Franken dem deutschen WM-Cheforganisator Franz Beckenbauer zur Verfügung gestellt hatte.
Beckenbauer musste zehn Millionen Franken stellen, um 250 Millionen Franken Zuschuss zur WM vom Internationalen Fußball-Verband FIFA zu bekommen. Eine Provision für die Finanzkommission der FIFA, so sei es ihm gesagt worden, sagt Zwanziger am Montag. Tatsächlich landet Geld in dieser Höhe aus Beckenbauers Geschäftsfeld im Laufe des Sommers 2002 in Qatar, bei einer Firma des FIFA-Funktionärs Mohammed bin Hammam. Das habe er erst 2015 erfahren, sagt Zwanziger.
2003, als Louis-Dreyfus sein Geld wieder haben will, rückt Zwanziger anstelle des Beckenbauer-Freunds Fedor Radmann ins WM-Organisationskomitee. Entsprechend bald bekommt Zwanziger mit, dass es ein Problem gibt. Am 14. August 2003 ist er mit dem ersten Vizepräsidenten im WM-OK, Horst R. Schmidt, bei Louis-Dreyfus in Lugano. Das Gespräch scheitert schon, als Louis-Dreyfus darauf verweist, zu den zehn Millionen kämen noch 300.000 Franken Zinsen. „Da war es beendet“, erzählt Zwanziger am Montag. Auf der Rückfahrt habe er zu seinem Freund Schmidt gesagt: „Horst, sieh zu, wie ihr das löst. Mit mir nicht.“
Weitere Aktivitäten in der Sache habe er nicht entwickelt, sagt Zwanziger. Andere Zuständigkeiten. Anderthalb Jahre später stellte sich heraus: Mit ihm eben doch, aber auf eine Art und Weise, die Zwanziger für strafrechtlich unangreifbar hält, schon wegen der Unkenntnis, die er angibt. Im Frühjahr 2005 überweist der DFB einen Zuschuss zur von der FIFA im Berliner Olympiastadion für den 8. Juni 2006 geplanten, schließlich Anfang 2006 abgesagten WM-Eröffnungsgala.
Ursprünglich waren sieben Millionen Euro angedacht, überwiesen werden 6,7 Millionen. Das Äquivalent zu 10,3 Millionen Schweizer Franken. Wer wusste zu diesem Zeitpunkt, dass hier über den Zwischenstopp FIFA der Gläubiger Louis-Dreyfus bedient werden soll? Er nicht, sagt Zwanziger. Das sei ihm erst ein paar Wochen später bewusst geworden, als er in den Unterlagen eine Fax-Vorlage aus Zürich fand, deren Wortlaut später in einem Schreiben des WM-OK an die FIFA wieder auftaucht. Das Prozedere sei in Zürich orchestriert worden, das ist Zwanzigers Version.
Der DFB überweist schließlich an ein anderes als das in der Fax-Vorlage avisierte Konto, dessen Nummer mit dem für sich sprechenden Kürzel RLD endet. Ein WM-OK-Schreiben aus dem April, in dem das RLD-Konto als Zielkonto genannt ist, wurde aber auch von Zwanziger abgezeichnet. Auf das Konto habe er nicht geachtet, sagt Zwanziger.
„Finden Sie das nicht erstaunlich?“
Als Schmidt ihm vorschlägt, wegen Personal- und anderer Kosten den Gala-Zuschuss von sieben auf 6,7 Millionen Euro zu reduzieren, stimmt Zwanziger zu. „Finden Sie das nicht erstaunlich?“, will Distler von ihm wissen, dass Schmidt just diese Summe vorschlug. „Der Horst Schmidt täuscht mich nicht“, sagt Zwanziger. Urs Linsi, der FIFA-Generalsekretär, mag versucht haben, Schmidt in andere Zahlungsmodalitäten einbinden zu wollen.
Zwanzigers Anwalt Hans-Jörg Metz, der sich angesichts der Rhetorik und Aktenkunde seines Mandanten selten meldet, weist die Vorsitzende Richterin darauf hin, dass 6,7 Millionen Euro ja nicht exakt 10,3 Millionen Franken bedeuteten. Vierzigtausend fehlten, eine Kürzung um 250.000 Euro wäre näher dran gewesen. Als ihm wenige Wochen später ein Licht aufgegangen sei, habe er zu Schmidt gesagt: „So habt ihr es also gemacht.“
Schmidt, dessen Verfahren wegen dessen Gesundheitszustand abgetrennt wurde, hatte gegenüber den deutschen Staatsanwälten 2016 gesagt, in den „legendierten Weg über die FIFA-Gala“ seien Zwanziger und er involviert gewesen. Zwanziger verlangte damals eine Unterlassungserklärung. Als ihm das Gericht Schmidts Aussage am Nachmittag gegen Ende der vierten Stunde seiner Einlassung vorlegt, wird Zwanziger knapp. „Die Aussagen sind falsch“, sagt er am Montagnachmittag. „Es stimmt das, was ich heute gesagt habe. Ich weiß, wie durcheinander Schmidt in dieser Phase war“, sagte Zwanziger am Montag.
Dieser Prozess dampft weiter durch eine tiefe See. Nach sechs Stunden endete der Tag im Schwurgerichtssaal. Nicht ohne einen Hinweis der Vorsitzenden Richterin zum weiteren Kurs. Von der Hypothese der „Legendierung des Zuschusses von Anfang an“ dürfe man sich wohl verabschieden, sagte Eva Marie Distler. Theo Zwanziger wird es gerne gehört haben.