2024-05-12 15:34:31
Gemessen am Umsatz zählt die Metallindustrie zu den wichtigsten Industriezweigen der Europäischen Union, die Folgen dieser Branche für die Umwelt bleiben oft unberücksichtigt. Blei, Cadmium, Zink, seltene Erden und Kupfer bleiben im Boden – auch wenn die Industrieanlage längst abgebaut ist. Über 100.000 potentiell kontaminierte Standorte befinden sich in der EU. Auf den Industriebrachen darf wegen der möglichen Belastung nicht gebaut werden, die Flächen dürfen weder für die Landwirtschaft noch zur Erholung genutzt werden. Die Böden von den Rückständen zu befreien ist teuer.
Einige der Metalle in den belasteten Böden sind heute begehrte Rohstoffe. Eine KI-basierte Software der Technischen Hochschule Köln verspricht jetzt, eine bessere Datenbasis für die Entscheidung für oder gegen Sanierung und damit auch die Rückgewinnung von Stoffen zu liefern.
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Kosten und Nutzen abschätzen
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Eine Forschergruppe des Metabolon Instituts, das sich mit nachhaltiger Kreislaufwirtschaft beschäftigt, hat das Tool im Rahmen des Projekts NWE-Regeneratis entwickelt. Das Projekt, das von 2019 bis 2023 lief und von der EU finanziert wurde, hatte zum Ziel, Rückgewinnungstechnologien an ehemaligen metallurgischen Standorten zu fördern. „Mit unserer Software wollen wir vor allem eine erste, schnelle Antwort auf die Frage geben: Was lohnt sich? Und lohnt es sich überhaupt?“, sagt Christian Wolf, Leiter des Instituts für zirkulare Wertschöpfung und des Wissenschaftlerteams. Klassischerweise würden die Böden an den ehemaligen Industriestandorten lediglich lokal analysiert, und das nur mit wenigen Messungen. „Danach muss der Eigentümer des Grundstücks einen Betrieb beauftragen, der anhand der Ergebnisse den Aufwand für eine Sanierung schätzt und ein Angebot erstellt“, erläutert Wolf. „Aber allein diese Beratung kostet Geld.“
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Die Software versucht nun, dieses Problem zu lösen, indem sie dabei hilft, das Kosten-Nutzen-Verhältnis abzuschätzen. In einem ersten Schritt müssen die Nutzer Fragen über die Beschaffenheit des Grundstücks, beispielsweise Größe, geographische Lage sowie über den Industriezweig, der angesiedelt war, beantworten.
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Um Metalle zurückzugewinnen, sind zusätzlich zu den Eckdaten des Geländes je nach Größe des Areals eine oder mehrere Bodenproben notwendig, um die Konzentration der Stoffe zu bestimmen.
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Was im Boden steckt
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Basierend auf den Geländeeigenschaften schlägt das Tool zusätzliche geophysikalische Methoden vor, um mit so wenig Aufwand wie möglich die Rohstoffmenge im Boden so genau wie möglich einzuschätzen. Beispielsweise empfiehlt es, ein Bodenradar zu nutzen, das den Boden anhand von Radiowellen charakterisiert. Als Alternative lässt sich mit Oberflächenwellen mit niedriger Frequenz die Dichte des Untergrunds bestimmen. Ein weiteres Modul erfasst die Beschaffenheit des Bodens, die Lage des Grundwasserspiegels und die Neigung des Grundstücks. Aufgrund dieser Datenbasis ermittelt es unter anderem, ob und welche weiteren Werkzeuge notwendig sind oder ob die Stabilitäts des Untergrunds geprüft werden muss, um Stoffe aus dem Boden zurückzugewinnen.
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„Die Bodenbeschaffenheit spielt eine große Rolle“, sagt Christian Wolf. „In manchen Fällen lässt sich die kontaminierte Erde einfach abbaggern.“ Bei einem versteinerten Boden benötige man dagegen Brecher, um ihn für eine Weiterverarbeitung zu zerkleinern. „All diese Unterschiede entscheiden darüber, ob eine Rückgewinnung der Rohstoffe oder eine Renaturierung der Industriebrache wirtschaftlich machbar sind.“
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Mit Software die passenden Methoden finden
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Mithilfe neuronaler Netze, die mit Datensätzen aus stillgelegten Produktionsstätten trainiert wurden, schätzt das Tool dann die Machbarkeit verschiedener Dekontaminierungs- und Rückgewinnungsmethoden ab. So kann eine Vorbehandlung mit einem Wirbelstromscheider angebracht sein, um Nichteisenmetalle wie Aluminium und Kupfer von Eisen zu trennen. Dabei erzeugt das Gerät ein wechselndes Magnetfeld, das Nichteisenmetallteile aus dem übrigen Materialstrom herausschleudert. Geht es darum, Blei und Kupfer aus einer Schlacke zurückzugewinnen, helfen thermische Methoden, beispielsweise rotierende Konverter (TBRC-Konverter). Hier verteilt ein sich drehender Ofen die Wärme, sodass das Verfahren hohe Abscheideraten erreicht.
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Das Software-Tool aus dem Regeneratis-Projekt berücksichtigt neben thermischen und mechanischen Verfahren Methoden wie die In-situ-Bodenspülung, bei der eine wässrige Lösung metallische Schadstoffe aus dem Boden löst.
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3000 Tonnen Metalle
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Das Gesamtergebnis ist eine Wirtschaftlichkeitsanalyse, die auf das jeweilige Gelände zugeschnitten ist. Bei einem leicht erreichbaren Grundstück mit einem lockeren Boden und einer hohen Aluminium- und Kupferkonzentration etwa kann es sich lohnen, die Metalle zurückzugewinnen. Ist die Industriebrache dagegen schwer erreichbar, der Boden versteinert oder die geschätzte Menge an Rohstoffen zu gering, wird das Rückgewinnungsprojekt für die Eigentümer zu einem wirtschaftlichen Wagnis.
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Dank des Regeneratis-Projekts wurden 60 Projekte zur Rückgewinnung von Rohstoffen gestartet und 3000 Tonnen an metallischen Rohstoffen zurückgewonnen. Christian Wolf schätzt, dass Sanierungs- und Rückgewinnungsverfahren für alte Industriestandorte in den kommenden Dekaden eine größere Rolle spielen werden. „Zum einen könnte eine Knappheit an Rohstoffen, zum anderen eine Knappheit an Grundstücken den Rückbau lukrativer machen.“ Dennoch wünscht er sich mehr Interesse der Politik für diese Problematik.
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Bis jetzt seien Betriebe nur dann zu einer Dekontaminierung alter Industriebrachen verpflichtet, wenn etwa das Grundwasser gefährdet ist. Versuche man, die Betriebe in die Verantwortung zu nehmen, meldeten diese oft Insolvenz, um die Kosten nicht tragen zu müssen. „Wir sollten aber im Interesse von uns allen langfristiger denken.“
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