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« Un chancelier ne peut pas se laisser tromper »

by Nouvelles

2024-11-08 12:05:00

Herr Minister, die Ereignisse überschlagen sich. Wann war für Sie klar, dass das Aus der Ampel unmittelbar bevorsteht?

Das war der Moment, als der Bundesfinanzminister sein Papier zur Wirtschaftswende abgeschickt hat. Nicht, weil Christian Lindner lauter falsche Dinge aufgeschrieben hat. Es lag vielmehr an dem Geist, den es geatmet hat. Und an dem, was er den Koalitionspartnern abverlangt hat. Es war in großen Teilen eine Abkehr von der eigenen Politik der letzten drei Jahre. Wenn man die Zeichen gelesen hat, war klar, das ist der Anfang vom Ende.

Im Finanzministerium widersprach man dem Eindruck, das sei ein Scheidungsbrief. Man verwies auf den Wirtschaftsminister, der ein eigenes Konzept vorgelegt hatte, und den Kanzler, der einen Industriepakt vorbereitete. Was war bei Lindner anders als bei Robert Habeck und Olaf Scholz?

Es ist legitim, dass jeder in der Regierung seine Ideen einbringt. Der Impuls von Habeck enthielt ja nicht einfach nur grüne Programmatik, sondern versuchte, verschiedene Ideen zusammenzubringen. Lindners Papier war nur auf dem Briefkopf vom Bundesfinanzminister, aber es war ein reines FDP-Papier. Es geht aber nicht um die Papiere, sondern den Umgang miteinander. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Verbindung eines Regierungschefs mit seinem Finanzminister für gutes Regieren entscheidend ist. Diese Achse Scholz-Lindner war irreparabel beschädigt.

Scholz wirft Lindner Vertrauensbruch vor, dieser kontert, der Bundeskanzler habe seinen Rausschmiss geplant. Was ist Ihr Eindruck?

Ich habe zwei kraftvolle Reden des Bundeskanzlers in dieser Legislatur gehört, die eine zur Zeitenwende im Deutschen Bundestag und die andere zum Ende dieser Koalition. Es ist bemerkenswert, dass die Rede zum Angriff Russlands auf die Ukraine in einer Reihe steht mit der Entlassung des Bundesfinanzministers. Zur Kritik, dass der Rauswurf schon länger vorbereitet war, kann ich nur sagen: Das ist professionell, denn seit Tagen war absehbar, dass ein mögliches Ende bevorsteht. Ein Bundeskanzler kann sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen, sondern muss dem Land Führung und Orientierung geben. Die Frage ist für mich eher: Warum hat es Scholz so weit kommen lassen und warum hat er die kritische Lage der Wirtschaft so lange schön geredet?

Der Ansehensverlust der Ampelkoalition war rasant. Wie viel Schuld haben die Grünen an der fatalen Entwicklung?

Meine Partei ist sich ihrer Verantwortung in diesen Stunden und Tagen bewusst. Wir haben sehr darum gekämpft, Lösungen für das Land hinzubekommen. Doch letztlich tragen alle Partner Verantwortung, dass die Regierung am Ende nicht funktioniert hat.

Wie in einer gescheiterten Ehe?

Ich führe Gott sei Dank eine glückliche Ehe und habe da keine Erfahrungswerte. Aber was man doch hört ist, dass sich da über die Jahre sehr viel angestaut hat, was irgendwann zum Ausbruch kommt.

Erst hat Scholz die Zeitenwende ausgerufen. Nach einem kraftvollen Start und einem guten Management der Energiekrise ist die Zeitenwende dann auf halber Strecke liegen geblieben. Dazu kam dann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich bin kein Jurist, aber es darf doch niemanden überraschen, dass man auf rechtlich dünnem Eis steht, wenn man Corona-Kredite umwidmet. Nach dem Urteil aus Karlsruhe stand die Regierung ziemlich blank da und hat sich seit dem von einem zum nächsten Haushaltsdrama gehangelt, statt anzuerkennen, dass wir in einer strukturellen Krise stecken und einen massiven Investitionsbedarf haben.

Einige der Vorschläge aus dem Kanzleramt haben Staatsrechtler als wenig tragfähig eingestuft. Dass da ein Finanzminister sagt: Das mache ich nicht mit, ist verständlich.

Natürlich muss man die juristischen Bedenken ernst nehmen. Aber das muss einen nicht daran hindern, die Regeln so anzupassen, dass wir unserer Aufgabe nachkommen können. Wir haben ein juristisches Problem mit Krediten, kein ökonomisches. Machen wir uns doch nichts vor: Dieser Standort braucht große Reformen. Rente, Steuern, Arbeit, Infrastruktur, Verteidigung. Mit der engen Schuldenbremse und einem eingefrorenen Steuersystem funktioniert das nicht.

Mehr Kredite können auch eine Versuchung sein, die notwendige Anpassungen hinauszuzögern.

Da gebe ich Ihnen aus eigener Erfahrung leider recht. Deswegen braucht eine Reform oder ein Sondervermögen einen engen Fokus auf Investitionen und Sicherheit.

Scholz will in einer Übergangsfrist mit Oppositionsführer Merz ausloten, ob mehr Kredite zur Absicherung der schwächelnden Wirtschaft und der notwendigen Verteidigungsleistungen möglich sind. Braucht man dafür nicht mehr Zeit?

Ich halte es für wichtig, dass wir so schnell wie möglich zu Neuwahlen kommen. Wir brauchen dafür ein zügiges, aber auch geordnetes Verfahren. Auf dem Weg dahin brauchen wir aber dringende Wachstumsimpulse und Klarheit, wie wir unsere Verteidigung finanzieren. Da zähle ich auch auf die staatspolitische Verantwortung der Union. Im nächsten Bundestag wird man aufgrund veränderter Mehrheiten das Sondervermögen womöglich nicht mehr so einfach verfassungsrechtlich absichern können. Hier sollte Friedrich Merz die ausgestreckte Hand des Bundeskanzlers annehmen.

Scholz möchte noch andere Projekte durch den Bundestag bringen: Stichwort Rente, Stichwort kalte Progression. Wie realistisch ist das?

Wir brauchen dringend Impulse für den Standort. Dazu gehören beispielsweise bessere Abschreibungsbedingungen. Die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags ist sowieso verfassungsrechtlich geboten.

Ihren Parteifreunden ging Lindners Entwurf zu dem letzten Punkt zu weit.

Auch vielen meiner Länderkollegen, die gerade unter schwierigsten Bedingungen Haushalte aufstellen müssen. Mein Ministerpräsident und ich finden das Wachstumspaket der alten Bundesregierung in Ordnung. Eigentlich enthält es eher zu wenig als zu viel Schlagkraft. Ich bekomme gerade neue Zahlen unserer Landesbank, die mittlerweile von einer weiteren Rezession im nächsten Jahr ausgehen – aufgrund der angekündigten Trumpschen Zollpolitik. Wir aus Baden Württemberg werden daher möglichst viel an wirtschaftlichen Impulsen unterstützen, so schwer es uns fiskalisch fällt. Das Rentenpaket hat für mich aber immer noch eine Schräglage zu Lasten jüngerer Generationen. Ich glaube hier geht es mehr um ein sozialdemokratisches Wahlkampfthema.

Die Grünen sind von der Entwicklung kalt überrascht worden. Erwarten Sie auf dem Parteitag nächste Woche Rückenwind für Habeck?

Die Partei steht geschlossen hinter dem Vizekanzler. Es ist klar, dass er uns an der Spitze in den Wahlkampf führen wird. Er vertritt einen modernen und pragmatischen Führungsstil. Er setzt auf Argumente, er benennt Dilemmata, er ringt mit sich bei schwierigen Abwägungen, er geht auch mal ins Risiko und ist zur Fehlerkorrektur bereit. Das hat Seltenheitswert. Natürlich haben wir Grüne gerade keinen Rückenwind. Aber jetzt geht es darum, ein neues Politikangebot zu formulieren. Habeck ist dafür der Richtige.

Bekommt der Spitzenkandidat die Beinfreiheit, die er braucht?

Ich hoffe doch sehr, denn die wird er brauchen. Aber ich bin zuversichtlich, da wir eine neue Parteispitze bekommen mit zwei Leuten, die etwas von Wirtschaft verstehen. Wir sind ja nicht nur in einer konjunkturellen, sondern auch strukturellen Krise. Jetzt kommt noch die Geoökonomie hinzu. Wirtschaftspolitik ist das Thema. Es wird das Thema im nächsten Jahr neben der Sicherheit sein.

Wie viel Prozent trauen Sie Habeck zu?

Ich traue ihm zu, dass er Brücken schlägt in die Mitte der Bevölkerung und dem Land Orientierung bieten kann. Dann ist viel möglich. Wichtiger als Prozente ist eine Regierungsperspektive. Das heißt aber eben auch, dass wir bei schwierigen Themen wie der Migration anschlussfähig sein müssen. Da müssen wir beides im Blick haben: einfache und schnelle Verfahren für die Zuwanderung von Arbeitskräften, die wir dringend brauchen, und weniger irreguläre Migration.

Wie wichtig ist eine Reform des Bürgergeldes?

Brauchen wir angesichts der lahmenden Produktivität, angesichts der Demografie im Land mehr Arbeitsanreize? Ja, definitiv, sonst werden wir den Wohlstand nicht halten können. Ich verweise gerne auf Professor Peichl vom Ifo-Institut, der sich intensiv mit dem Zusammenhang von Bürgergeld, Wohngeld, Familienzuschlag beschäftigt. Das muss besser funktionieren.

In Stuttgart regiert Grün-Schwarz. Ist die Kombination ein Vorbild für den Bund, auch wenn es dann Schwarz-Grün heißen dürfte?

Das könnte eine Antwort sein auf zwei zentrale Herausforderungen: erstens in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Man kann Grünen in den letzten drei Jahren sicherlich das eine oder andere vorwerfen. Aber in den Fragen der Sicherheit sind wir absolut klar und stabil. Das gilt ja für andere nur bedingt. Zweitens bleibt die digitale und ökologische Erneuerung unserer Unternehmen mit das wichtigste Thema, das uns in den nächsten zwei Jahrzehnten beschäftigen wird. Grüne als Kraft der Veränderung und eine Union, die als Volkspartei den Ausgleich sucht, das kann sich gut ergänzen.

Lindner hat angeregt, das Ziel der Klimaneutralität um fünf Jahre aufzuschieben, um den Anpassungsprozess geschmeidiger zu halten. Ist das eine Überlegung wert?

Ich habe den Eindruck, dass es ihm um die Symbolik ging: Klima muss jetzt hinten anstehen. Die Herausforderung bleibt, eine Industrie- und Wissensgesellschaft erfolgreich zu modernisieren – in einem völlig neuen geopolitischen Umfeld. Das wird nicht nur mit reiner Ordnungspolitik gehen. Die Ampel hat es zu meiner Enttäuschung nie geschafft, Klimaschutz und Marktwirtschaft in einen kohärenten Ansatz zusammenzubringen. Da müssen wir konzeptionell nachlegen.

Man hört immer wieder, dass es Sie zurück nach Berlin zieht. Was ist da dran?

Ich bin sehr glücklich und gut ausgefüllt mit meiner Aufgabe. Und das ist – weil Sie so schmunzeln – keine politische Floskel. Zudem bin ich vor acht Wochen zum zweiten Mal Vater geworden. Ich bin viel zwischen Stuttgart und München unterwegs, um mein Familien- und Berufsleben gut miteinander zu verbinden…

… Ihre Frau ist eines der bekanntesten Gesichter der Grünen in Bayern…

Insofern passt das gerade sehr gut, Berlin ist nicht angezeigt. Und ich freue mich auf unseren Spitzenkandidaten Cem Özdemir für die Landtagswahl 2026. Wenn er mich braucht, dann weiß er, dass er auf mich zählen kann.



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