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Un nouveau fragment de papyrus d’une œuvre d’Empédocle

2024-08-11 17:39:05

Feuer, Wasser, Luft und Erde. Alles Materielle bestehe aus Mischungen dieser vier Elemente – das war praktisch bis in die frühe Neuzeit hinein eine weitverbreitete Naturtheorie. Dahinter stand natürlich nicht zuletzt die Autorität, die Platon und Aristoteles genossen, die beiden auch als Naturphilosophen einflussreichsten Denker des Abendlandes und darüber hinaus. Sie vertraten im vierten Jahrhundert vor Christus dieses Standardmodell alles Stofflichen und verfeinerten es weiter – Platon etwa unterfütterte es mit einer mathematischen Theorie.

Nur der Erste, der die Lehre von den vier Elementen mit Wirkung vertrat, war ein anderer: Empedokles von Akragas, dem heutigen Agrigento an der Südküste Siziliens, der etwa von 495 bis 435 vor Christus lebte und als Philosoph, Arzt und auch als Dichter eine Prominenz erreichte, mit der er sich offenbar auch Feinde machte. Jedenfalls wurde nach seinem Tod die Legende verbreitet, Empedokles habe sich in den Vulkan Ätna gestürzt, um durch sein spurloses Verschwinden eine Entrückung zu den Götter vorzutäuschen und so seinem Nachruhm weiter aufzuhelfen.

Doch das hatte er kaum nötig. Er war einer der wichtigsten der Vorsokratiker, die so genannt werden, weil sie vor Platon wirkten, der in seinen Dialogen zumeist seinen Lehrer Sokrates auftreten lässt. Im Unterschied zu Platons Dialogen, die sämtlich erhalten blieben, ist von den Werken der Vorsokratiker fast nichts übrig. Von ihren wörtlichen Formulierungen sind nur einige wenige in Form von Zitaten in Werken nachfolgender Philosophen oder Chronisten auf uns gekommen. Allerdings gibt es noch eine andere Quellengruppe, die Testimonien. Das sind Abschnitte bei späteren Autoren, die vorsokratische Lehren und Positionen referieren. Aber wer weiß denn nun, ob jene Autoren etwa Empedokles richtig verstanden haben oder inwieweit sie ihn nur selektiv oder gar entstellend referieren, etwa um damit ihre ganz eigenen Positionen zu stützen?

Die Sensation von Straßburg

Hier kann dann der Neufund auch nur eines Fragmentes mit bis dato unbekanntem Text schon mal ein ganzes Forschungsfeld umkrempeln. So geschehen 1999 an der Universität Frankfurt, als der damals dort tätige Altphilologe Oliver Primavesi, der seit 2000 an der Universität München lehrt, zusammen mit seinem Fachkollegen Alain Martin von der Université libre de Bruxelles die Edition eines Papyrusfragments vorstellte, das offenbar zu einer vollständigen Ausgabe des großen Lehrgedichts „Über die Natur“ des Empedokles gehört.

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Das aus Oberägypten stammende, in 52 Teile zerfallene Papyrusblatt war als Teil eines Mumienschmucks erhalten geblieben und 1905 in die Straßburger Universitätsbibliothek geraten. Geschrieben wurde es am Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus, als Abschrift eines älteren Papyrus, dessen ursprüngliche Vorlage der Originaltext des Empedokles aus dem fünften Jahrhundert vor Christus war.

Papyrusfunde literarischen oder philosophisch-wissenschaftlichen Inhalts sind extrem selten. Wenn sie dann auch noch, wie in diesem Fall, anderswo nicht bezeugtes Material eines Vorsokratikers enthalten, ist das eine Sensation. Kurioserweise ist dies nun schon wieder passiert. Es ist abermals ein Stückchen Empedokles aufgetaucht, diesmal in Kairo. Aber verrückterweise handelt es sich nicht nur um dasselbe Werk desselben Autors – sondern offenbar um eine andere Seite derselben Buchausgabe.

„Wahrscheinlich sogar von derselben Hand geschrieben“

Entdeckt hat das Papyrusbruchstück der belgische Papyrologe Nathan Carlig aus Lüttich in den Magazinen des Institut français d’archéologie orientale in Kairo, wohin es 1941 aus dem Antikenhandel gelangt war. Nachdem Carlig Oliver Primavesi zurate gezogen hatte, war schnell klar, womit man es hier zu tun hatte – und den beiden Editoren des inzwischen berühmten Straßburger Papyrus, Alain Martin und Oliver Primavesi, wurde etwas zuteil, was nur den allerwenigsten Altphilologen passiert: Zum zweiten Mal in ihren Karrieren durften sie ein antikes Stück mit neuem Originaltext eines der wichtigsten Autoren der frühen abendländischen Geistesgeschichte erforschen.

Am 16. Juni 2024 nun haben Martin und Primavesi erste Ergebnisse ihrer Untersuchungen in einer öffentlichen Sitzung des Hauptseminars des Altphilologen Hans Bernsdorff von der Universität Frankfurt vorgestellt. Wie sich dabei zeigte, ist das 13,2 mal 10,9 Zentimeter große Fragment zwar kleiner als das Straßburger und enthält daher auch nicht so viel Text. Trotzdem ist der von den Forschern erschlossene Inhalt von gewisser Bedeutung zum Beispiel für die Frage, wie sehr den Testimonien, also den indirekten Überlieferungen der Theorien des Empedokles, zu trauen ist.

Zunächst diskutierte Alain Martin das neue Stück aus papyrologischer Sicht. Es zeigt Teile zweier Textspalten aus griechischen Buchstaben. Die linke umfasst die Enden von 13 ungleich langen Zeilen, die rechte Spalte die Anfänge von 17 linksbündigen Zeilen. Die schwankende Zeilenlänge weist bereits darauf hin, dass es sich um Verse handelt, um Hexameter. Anhand der Buchstabenformen lässt sich die Niederschrift in etwa datieren: Diese hier waren im späten 1. Jahrhundert üblich. Doch schon dem Laien sprang in dem Frankfurter Seminarvortrag sofort ins Auge, dass die Buchstabenformen praktisch identisch sind mit denen des Straßburger Papyrus (von dem obiges Bild einen Ausschnitt zeigt). Alain Martin kann das nur bestätigen. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass beide Papyri sogar von derselben Hand geschrieben wurden.“

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Wie man mit einem kaputten Text, dennoch etwas anfangen kann

Was nun dasteht, das war Inhalt des Vortrages von Oliver Primavesi. Die Rekonstruktion und Übersetzung der ersten sechs Verse, die der Forscher dem Publikum zeigte, klingen mysteriös: „… auch jetzt noch“ / „ … stets wenn sie schwitzen“ / „… duftender Weihrauch“ / „ … die Abflüsse der Schlacke hinterlassen rotglühendes Eisen“ / „… alles scheidet Abflüsse aus“ / „… meinen Worten“.

Das ist fraglos ein ziemlich kaputter Text. „Man kann mit dem Kaputten dann etwas anfangen, wenn man Berührungspunkte mit der sehr reichen indirekten Überlieferung findet“, sagt Primavesi und tatsächlich sieht er in diesen sechs verstümmelten Hexametern einen Berührungspunkt zu der vor allem in den Testimonien überlieferten empedokleischen Naturtheorie.

Diese beruht nämlich nicht nur auf den vier Elementen sondern auch auf zwei Mächten, genannt „Liebe“ und „Streit“. Zusammen setzten diese sechs eine zyklische Welt ins Werk: Über 6000 Jahre hinweg expandiert die Liebe und mischt die zunächst geschiedenen Elemente immer besser, bis sie schließlich nur noch aus einem vollkommenen Wesen besteht, dem Sphairos, dem großen Kugelgott. Der kann sich 4000 Jahre lang seiner Vollkommenheit erfreuen, dann kommt es zur Invasion des Streits in die Welt, die er nun zu zerreißen beginnt, bis er nach abermals 6000 Jahren den Kugelgott ganz zerstört und in Sphären aus den reinen Elementen getrennt hat. Dann expandiert erneut die Liebe, und der ganze Zyklus beginnt von vorne.

Ausflüsse zerstören den großen Kugelgott

Wo ist dazu der Berührungspunkt in dem neuen Text? In dem Wort „scheidet aus“, das mit diesem Weltbild gut in Verbindung zu bringen ist. Denn das Ausscheiden, Abtrennen, ist gerade der Modus, über den der Streit den perfekten Kugelgott in die Element­sphären zerlegt. Das wird Primavesi zufolge gestützt durch die vorangehenden Versbruchstücke, wo vom Schwitzen, vom duftenden Weihrauch und von der aus dem rot glühenden Eisen abfließenden Schlacke die Rede ist – selbst zumeist Rekonstruktionen des Altphilologen, die er aber durch Verweis auf Zusammenhänge und Wortgebrauch in anderen antiken Texten minutiös zu rechtfertigen weiß.

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Und was haben Schwitzen, Weihrauchduft und Eisenverhüttung dann hier verloren? Es sind alles Beispiele für Aus- oder Abflüsse, Abscheidungen, die in unserer Alltagswelt – das heißt in jener der antiken Leser des Empedokles – „auch jetzt noch“ zu beobachten sind. „Der Vers mit dem ,auch jetzt noch‘ ist fast der interessanteste des ganzen Fragments“, sagt Oliver Primavesi. Die Methode des Empedokles sei hier gerade nicht ein freies Phantasieren über die Phasen des Weltzyklus. Vielmehr würden verschiedene Kräfte und Faktoren in unserer Gegenwart beobachtet, und daraus würde extrapoliert, was bei anderen universalen Kräfteverhältnissen zwischen Liebe und Streit wohl zu erwarten ist.

Auch die übrigen Zeilen inklusive derer in der rechten, nur in ihren Versanfängen erhaltenen Textspalte kann Oliver Primavesi in dieses Bild eingliedern – und das, obgleich zwischen beiden Abschnitten 17 Zeilen verloren gegangen sein müssen, denn die originale Zeilenzahl jeder Spalte ist ja aus dem Straßburger Papyrus bekannt. In der rechten Spalte des neuen Fragments geht es offenbar um die empedokleische Theorie der Sinneswahrnehmung, die ebenfalls mit Ausflüssen funktioniert – nämlich Ausflüssen kleinster Elementteilchen. So vermitteln etwa Partikel des Elements Feuer die optische Wahrnehmung von Helligkeit. Die Sinneswahrnehmung wird aus Primavesis Sicht hier aber nicht um ihrer selbst willen verhandelt, sondern um in einem weiteren, besonders prominenten Beispiel die Ausflusstheorie zu plausibilisieren, die wiederum eine entscheidende Komponenten jener zyklischen Kosmologie ist.

Wichtig ist nun, so war Primavesi in seinem Frankfurter Vortrag zu verstehen, dass das Fragment damit die in den Testimonien bezeugte Kosmologie stützt – inklusive ihrer Aussage, die aktuelle Welt, die Empedokles in der letzten Phase der Streitinvasion ansiedelt, gehe dem Untergang entgegen. Das sei einigen sich fortschrittlich dünkenden Interpreten in der Zeit um 1968 zu pessimistisch aufgestoßen, weswegen sie es sich als Verbiegung späterer Autoren, insbesondere aus dem Umkreis von Aristotelismus und Platonismus, erklärten. Das neue Fragment scheint aber eher darauf hinzudeuten, dass der große Vorsokratiker tatsächlich kein 68er war.



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