2024-12-04 23:08:00
In diesen Tagen steigen Hauchwölkchen aus den Mündern der Besucher in der Johanneskirche auf. Drinnen scheint es fast kälter als vor der Tür zu sein. Die Heizung hat ihren Dienst vor langer Zeit aufgegeben und kann nicht mehr repariert werden. Die Kirchenbänke stehen teils abgedeckt an den Wänden. An einen Gottesdienst ist dort nicht zu denken, zumal die Orgel mittlerweile in einer Schule in Königstein steht.
Doch in zweieinhalb Jahren sollen Menschen die Johanneskirche wieder mit Leben erfüllen, wie Andreas Weigand vom Förderverein Inklusion ankündigt. Der Verein wird dort eine Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Behinderung schaffen. Die Kirchengemeinde überlässt ihm den an der Auguste-Viktoria-Straße gelegenen Bau aus dem Jahr 1899 für einen Euro. Was sich seit einiger Zeit abzeichnete, hat der Vorstand der Kirchengemeinde Kernstadt nun beschlossen.
Der Verein plant einen symbolischen Spatenstich für den Herbst nächsten Jahres, wie Oliver Wohlers als einer seiner Vertreter bei der Schlüsselübergabe am Mittwoch sagte. Er will neu bauen und in das Gebäude investieren, das anders als andere Kirchen nicht aus einem Mittelschiff und zwei Seitenschiffen, sondern im Wesentlichen aus einem Saal unter dem Turm besteht. Der Kirchenraum solle künftig eine Begegnungsstätte für Bewohner und Besucher sein. Wohlers: „Wir möchten das Thema Inklusion in die Mitte der Gesellschaft rücken.“ Die Wohngemeinschaft soll acht bis zehn Menschen aufnehmen können.
Hospiz in Johanneskirche gescheitert
Das „Villa Viktoria“ genannte Vorhaben soll 2,5 Millionen Euro kosten. Das Geld stamme aus den Einnahmen der jüngsten Spendengala und aus den Rücklagen. Der Verein werde mit einer höheren sechsstellige Summe beginnen, weitere Spenden sammeln und Kredite aufnehmen. Die Stadt unterstützt das Anliegen und gibt die für das Bauvorhaben erforderlichen Nachbargrundstücke vergünstigt ab.
An dem Ort war in den vergangenen Jahren ein Hospiz im Gespräch gewesen. Dieses Vorhaben hat sich aber zerschlagen. „Ich bedauere zwar, dass das Herzensprojekt Hospiz an dieser Stelle aus wirtschaftlichen Gründen nicht realisiert werden konnte“, sagte Bürgermeister Klaus Kreß (parteilos). Mit Blick auf den Widerstand in Teilen der Nachbarschaft sprach er von einem Wermutstropfen für die Stadtgesellschaft. Doch auch künftig werde die Johanneskirche nicht nur aus denkmalpflegerischer Sicht würdevoll genutzt.
Kreß lobte die Pläne des Vereins als sinnstiftend. „Gott sei dank“ stießen sie auf breite Akzeptanz. Der Verein setze einen weiteren Baustein hin zu einer inklusiven Stadtgesellschaft, hob Kreß hervor. Der Verzicht auf die bisher vorgesehene Dachterrasse befriedige Anwohnerinteressen. Indem die Stadt den einschlägigen Paragrafen 34 des Baugesetzbuches nutze, könne sie auf einen Bebauungsplan verzichten.
Vor dem Beschluss des Vorstands hatten die Kirchenvertreter sich Kirchenbauten im Nachbarschaftsraum Bad Nauheim/Ober-Mörlen angesehen und sie bewertet. Das Ergebnis: „Im Nachbarschaftsraum haben wir mehr als genug Kirchen, diese hier kann besser andere Aufgaben übernehmen.“ Die Prüfung ist ein Teil des EKHN 2030 genannten Wandels der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Bis zum Beginn des nächsten Jahrzehnts prüfen die Gemeinden, welche Gebäude sie behalten wollen und welche sie abgeben. Der Grund: Die Evangelische Kirche zählt immer weniger Mitglieder, nimmt weniger Kirchensteuern ein und muss deshalb sparen. Zudem mangelt es an Pfarrerinnen und Pfarrern, wie Ulrich Schröder, der Vorsitzende der Kirchengemeinde, sagte. Und: „Wofür braucht man Kirchen, wenn es keine Pfarrer mehr gibt?“
Nicht mehr nur Gottesdienste und Trauungen
Momentan ist die Erwartung, dass von den 1200 Kirchen, die im Besitz der Kirchengemeinden der EKHN sind, nur sehr wenige in Zukunft keine landeskirchlichen Zuschüsse mehr erhalten werden. Ausgewählte und dafür geeignete Kirchen sollen mit der Aktion „Kirche kann mehr“ vielfältiger als bisher genutzt werden. Gedacht ist nicht mehr nur an Gottesdienste und Trauungen, vielmehr sollen auch Verwaltungs- und Versammlungsflächen direkt in die Kirchen integriert werden, wie es bei der EKHN heißt.
Deshalb sei der nun in Bad Nauheim verkündete Schritt ungewöhnlich. „Schon seit 15 Jahren wissen wir, dass die Johanneskirche in ihrem jetzigen Zustand keine Zukunft haben kann“, sagte Schröder. Mehrere Arbeitsgruppen hätten viele Ideen entwickelt – doch immer fehlte demnach das Geld, um die Vorstellungen zu verwirklichen. „Wir denken im Nachbarschaftsraum und haben hier andere Kirchen ähnlicher Größe, die wir behalten möchten. Auf die Johanneskirche zu verzichten, ist da nur konsequent und letztlich auch klug“, erläuterte Schröder.
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